Rachekind: Thriller (German Edition)
machte einen Schritt auf sie zu, zögerte, als überlegte sie, was sie tun sollte. Hanna verstärkte ihren Griff um Lilou. Als hätte sie es geplant, schoss die Hand mit der Mehldose nach vorne. Das Mehl flog Britt entgegen. Britt riss ihre Arme vors Gesicht. Hanna nutzte den Moment, rannte auf sie zu, stieß sie zur Seite und sprintete zur Wohnungstür. Der Riegel war vorgeschoben. Hanna hörte Britts Absätze auf dem Parkett und Lilous angstvolles Aufheulen. Zitternd schob sie die Kette zum Ende, entriegelte die Tür und quetschte sich noch beim Öffnen in den Gang. Anstatt nach oben in ihre Wohnung zu laufen, stürmte sie mit Lilou die Treppen hinunter und auf die Straße hinaus. Rannte, so schnell sie konnte, rannte vorbei an der Bäckerei, in der sie für Britt den Amerikaner gekauft hatte, und dem Blumenladen, in dem sie Sträuße für sie als Dankeschön hatte binden lassen. Und doch wusste sie genau, dass, egal, wie schnell sie rannte, sie diesem Albtraum nicht entfliehen würde.
46
Es war zu kühl für Lilou ohne Jacke draußen auf der Straße. Ohne ihren Schritt zu verlangsamen, schlüpfte Hanna aus ihrer Strickjacke und wickelte Lilou darin ein. Sie hatte das Ende der Annastraße erreicht und lief zielstrebig die wie ausgestorben daliegende Fußgängerzone entlang. Hanna wünschte, sie könnte jetzt in der sonst so lebhaften Menschenmenge untertauchen, anstatt in der Stille das Klappern ihrer Stiefelabsätze auf dem Kopfsteinpflaster zu hören. Am Münsterplatz verlangsamte sie ihr Tempo und verschnaufte einen Moment. Trotz des kühlen Wetters saßen Kneipenbesucher unter großen Schirmen, gewärmt von silbrig schimmernden Heizpilzen und eingewickelt in knallrote Decken. Hanna zog Bilanz. Sie hatte das Haus ohne Geld, ohne Jacken und ohne Handy verlassen. Sie konnte nicht zurück, weil Britt einen Schlüssel zu ihrer Wohnung besaß und sie dort nicht mehr sicher waren. Sie könnte zu Simon. Auf ihn war Verlass. Sie schöpfte Mut, doch schon in der gleichen Sekunde fiel ihr ein, dass Simon ins Red gehen wollte. Britt war auch im Red verabredet. Traf sie sich mit Simon? Warum nicht? Wäre es denn so überraschend, wenn auch er Teil des Komplotts war? Steve hatte ihn eingestellt. Er hatte das letzte Jahr mit ihm gearbeitet, ihn zu seiner rechten Hand gemacht. Zu einem zuverlässigen Stellvertreter, wenn Steve mehrere Monate verschwinden musste. Sie stöhnte auf und presste ihr Gesicht an das von Lilou. Sie konnte niemandem mehr vertrauen. Auch Simon nicht. Sie musste ganz allein durch diesen Albtraum.
Mit schnellen Schritten ließ sie den Dom hinter sich und näherte sich dem oberen Eingang des Elisengartens. Eine Gruppe Jugendlicher stand mit Bierflaschen in der Hand an Lilous Lieblingsbrunnen, dessen pittoreske Figuren den Kreislauf des Geldes darstellten. Lilou zeigte auf die Figuren und wollte von Hannas Arm.
»Heute nicht«, sagte Hanna, obwohl ihr die Arme schwer wurden und es eine Wohltat gewesen wäre, Lilou einen Moment abzusetzen und sie die Figuren berühren zu lassen. Stattdessen lief sie weiter, quer durch den kleinen Park, am Elisenbrunnen vorbei auf den belebten Friedrich-Wilhelm-Platz.
Endlich erreichte sie den Taxistand. Ein halbes Dutzend Taxis standen dort und warteten auf Theaterbesucher, die gut gelaunt aus einer Aufführung kamen, oder Restaurantbesucher, die sich satt und zufrieden in die Polster fallen ließen. Hanna lief die Reihe der Taxis ab. Jeden Abend außer Montag, hatte er gesagt.
Beim fünften Wagen öffnete sie die Tür.
»Erkennen Sie mich?«
Der Taxifahrer schaute sie an, dann verzog sich sein Gesicht zu einem breiten Grinsen. »Ja, so eine Frage!« Er klopfte auf den Stadtplan, der zwischen Sitz und Mittelkonsole steckte. »Ich werde doch unsere Frau Warrington wiedererkennen!«
Hanna stieg ein und schloss die Tür fest hinter sich. Dann wickelte sie Lilou aus der Strickjacke und half ihr, sich auf ihrem Schoß aufzurichten. Interessiert sah Lilou sich in dem Taxi um und versuchte, das Pappbäumchen am Spiegel zu erhaschen.
»So kann ich Sie leider nicht mitnehmen, für Ihre Kleine brauchen wir einen Sitz.« Der Fahrer zeigte auf einen Kombi zwei Taxis vor ihm. »Der Kollege dort hat einen Kindersitz, wollen Sie mit dem fahren?«
Hanna schüttelte den Kopf. »Ich brauche Ihre Hilfe.«
»Ehrensache.« Er stupste das Bäumchen in Lilous Richtung, und Lilou griff begeistert danach.
Hanna löste das Pappbäumchen aus Lilous Hand, bevor sie es abreißen konnte, und
Weitere Kostenlose Bücher