Rachekind: Thriller (German Edition)
genährt war von ihrer Liebe zu Steve. Dass sie sich schon in ihrer Rolle als zukünftige Stiefmutter gesehen hatte. Sie dachte an Britts Vorliebe für Steves Sessel. Wie sie sich hineingeschmiegt hatte. Wie scharf sie darauf gewesen war, ihn zu übernehmen. Sie hatten sich darauf geliebt. Erst Britt und Steve. Dann Steve und sie. Ekel überkam sie mit einer Wucht, dass ihr ganzer Körper sich schüttelte. Sie hatte Steve als Mittel zum Zweck gedient, um seiner Rose die Welt zu Füßen zu legen, wie er es in seinem Tagebuch beschrieben hatte:
Ich hätt es wissen müssen.
So ein gottverdammtes Arschloch.
Wenn sie mich auch krallen, kann ich einpacken.
Damals in London hatte ich auch so ein Scheißgefühl, und es ist schiefgelaufen. Nur noch auf eigene Faust, habe ich mir geschworen, als ich hierhergekommen bin. Neues Leben, neues Glück und Hände weg von Pissnelken. Keine großen Geschichten, mal eine Karre, mal einen Automaten, kein Risiko. Jetzt kann ich wieder von vorne anfangen, nur diesmal ist der Preis irre hoch, und ich werde mich verdammt anstrengen müssen, um das bei Rose noch mal geradezubiegen. Ich hab ihr versprochen, nie wieder ein krummes Ding zu drehen. Sie wird denken, ich hätte sie verraten.
Das hat sie nicht verdient.
Rose hat genug hinter sich und ist dabei immer anständig geblieben. Sie denkt, dass Ungerechtigkeit eines Tages ausgeglichen wird, aber daran glaube ich nicht, auch wenn es irgend so ein Guru in einem Ratgeber geschrieben hat. Wenn man nicht selbst was tut, um sich Gerechtigkeit zu verschaffen, wird man sie auch nie bekommen. Aber ich werde dafür sorgen, dass die Ungerechtigkeit, die sie erfahren hat, ausgeglichen wird. Ich werde jemanden finden, der dafür bezahlen wird. Ich hab Rose versprochen, sie zur glücklichsten Frau der Welt zu machen, und das werde ich, auch wenn ich jetzt abtauchen muss.
Er hatte jemanden gefunden. Sie. Er hatte sie beobachtet und gewusst, dass sie donnerstags manchmal mit den Kollegen nach der Arbeit in die Kneipe ging, in der er ihr versehentlich das Bier über die Kleidung geschüttet hatte. Damals war sie unglücklich und einsam gewesen. Bis Steve in ihr Leben getreten war. Lilou bewegte sich im Schlaf, und Hanna legte die Hand auf ihr Köpfchen. Sie spürte die Energie ihrer Tochter, die sie durchströmte und mit neuem Lebenswillen und Kampfgeist auflud. Sie würde sich nicht unterkriegen lassen. Nicht von Steve. Nicht von Britt. Von niemandem.
Ein leises Ächzen verriet ihr, dass Lilou erwacht war. Sie richtete sich in dem Doppelbett auf und sah Hanna verschlafen an.
Hanna kniete sich neben das Bett und tastete nach dem Lichtschalter. »Ist das Licht zu hell?«
»Papa.«
Hanna streichelte Lilou über den Kopf. »Der Papa ist nicht da. Schlaf jetzt wieder.«
»Papa!«
»Der Papa ist nicht da.« Hannas Stimme nahm eine Schärfe an, die sie bei Lilou noch nie an den Tag gelegt hatte. Sie wollte nichts mehr hören. Nichts mehr sehen. Nichts mehr denken. Nichts mehr fühlen.
»Papa«, wiederholte Lilou weinerlich und drückte ihren Wal an sich.
»Der Papa ist weg!«, schrie Hanna und packte Lilou bei den Schultern. »Weg! Hörst du? Weg!«
Lilou schaute sie mit großen Augen an, die sich mit Tränen füllten. Ihr Kinn zitterte, und sie begann zu weinen.
»Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht anschreien.« Hanna setzte sich neben Lilou und nahm sie in den Arm. Sie lehnte ihre Wange an Lilous Kopf, schloss die Augen und summte das englische Kinderlied, das Steve ihr immer vorgesungen hatte. Bilder von Steve poppten in ihrer Erinnerung hoch. Bilder von Steve und Lilou. Beim Buchlesen. Beim Singen. Beim Spielen. Kinder brauchen die Liebe ihrer Eltern, hatte er immer gesagt, sie gehen ein wie Primeln im Winter, wenn sie diese Liebe nicht bekommen. Unsere Prinzessin braucht ihre Mutter, hatte er geantwortet, wenn sie ihn auf die Kinderkrippe angesprochen hatte. Sie konnte seine Stimme hören. So weich. So zärtlich.
Was verpasst du schon, wenn du erst einmal Pause machst? Es ist doch unsere Firma, du wirst immer die Chefin sein.
War das Taktik gewesen, um Simon in die Firma zu holen? Um zu verhindern, dass sie sich die Bücher näher ansah und entdeckte, dass sie gar keinen Kredit abzahlten? Sie dachte an seinen Brief. An das Essen, das er für ihren Jahrestag arrangiert hatte. Wozu? Als Teil des Verwirrspiels, um sie in den Wahnsinn zu treiben? Wie clever, Steve so schrecklich zu verunstalten. Es musste sie Stunden gekostet haben, ihn zu
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