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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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nur durch die Spalten an den Seiten, fiel auf die kleinen Glasfiguren über den Türen und ließ sie funkeln. Hausgeister, ein alter Brauch, sogar älter als das Neue Kaiserreich, waren dort angebracht worden, um für Wohlstand zu sorgen und das Böse zu vertreiben. Monza fragte sich, was die kleinen Glasgötzen wohl bewirken mochten, wenn Orsos Heer die Stadt eroberte. Nicht viel. Angst lag schwer auf den Straßen, und das Gefühl von Bedrohung war so stark, dass es sich an Monzas klamme Haut zu heften schien und die Härchen in ihrem Nacken aufstellte.
    Nicht, dass in Visserine wenig Leute auf den Straßen gewesen wären. Einige eilten zum Hafen oder zu den Toren. Männer und Frauen mit so viel Gepäck auf dem Rücken, wie sie tragen konnten, zogen ihre Kinder hinter sich her, und die Alten schlurften hinterdrein. Wagen ratterten an ihnen vorüber, schwer beladen mit Säcken und Kisten, Matratzen und Kommoden und jeder Menge unsinnigem Kram, der später ohnehin weggeworfen werden würde, und sie stauten sich auf den Straßen, die aus Visserine hinausführten. Eine Verschwendung von Zeit und Mühe, in Zeiten wie diesen etwas anderes retten zu wollen als das eigene Leben.
    Wenn man beschlossen hatte, zu fliehen, dann tat man das am besten so schnell wie möglich.
    Aber es gab viele andere, die sich entschieden hatten, in die Stadt hineinzuflüchten, und die zu ihrem Entsetzen feststellen mussten, dass Visserine eine Sackgasse war. An einigen Stellen säumten sie die Straßen. Sie lagerten in Hauseingängen, versuchten sich mit Decken vor dem Regen zu schützen. Sie verstopften zu Dutzenden die schattenumlagerten Arkaden eines leeren Marktes, duckten sich, als eine Kolonne Soldaten vorbeimarschierte, deren Rüstungen durch die Nässe mit feinen Tropfen besetzt waren, die im Fackelschein funkelten. Geräusche hallten durch die Düsternis. Das Krachen von berstendem Glas oder zersplitterndem Holz. Zornige Rufe, oder auch ängstliche. Ein- oder zweimal sogar ein richtiger Schrei.
    Monza vermutete, dass ein paar Bürger der Stadt beschlossen hatten, die große Plünderung schon ein wenig vorzuverlegen. Ein paar Rechnungen zu begleichen und sich ein paar der Dinge zu sichern, auf die sie schon länger ein neidvolles Auge geworfen hatten, während die Augen der Mächtigen aufs eigene Überleben gerichtet waren. Es war einer jener seltenen Augenblicke, in denen man etwas umsonst bekommen konnte, und immer mehr Leute würden diesen Umstand ausnutzen, wenn Orsos Heer erst einmal vor der Stadt lagerte. Die dünne Schicht der Zivilisation begann bereits abzublättern.
    Monza fühlte die Augen, die ihr und ihren fröhlichen Gefährten folgten, während sie langsam durch die Stadt ritten. Ängstliche Augen, misstrauische Augen und die anderen – jene, die abzuschätzen versuchten, ob sie schwach genug oder reich genug waren, dass sich ein Überfall lohnte. Sie hielt die Zügel in der rechten Hand, so weh es auch tat, damit die Linke auf ihrem Schenkel nahe am Griff ihres Degens ruhen konnte. Das einzige Gesetz, das in Visserine nun noch etwas galt, war das der Klinge. Und der Feind stand noch nicht einmal vor den Toren.
    Ich habe die Hölle gesehen, hieß es bei Stolicus, und sie ist eine große Stadt während einer Belagerung.
    Vor ihnen führte die Straße durch einen Marmorbogen, von dessen hohen Schlusssteinen Wasser hinabplätscherte. Die darüberliegende Wand schmückte ein großes Gemälde. Großherzog Salier saß oben auf einem Thron, und man hatte ihn schmeichelhafterweise lediglich rundlich und nicht überaus fett dargestellt. Eine Hand hielt er segnend in die Höhe, und sein väterliches Lächeln verströmte ein himmlisches Licht. Unter ihm befanden sich ausgewählte Bürger Visserines, von den höchsten bis zu den niedrigsten, die demütig von den Segnungen seiner weisen Regierung profitierten. Brot, Wein, Wohltand. Unter ihnen, direkt über dem Durchgang, waren die Worte
Mildtätigkeit, Gerechtigkeit, Mut
in mannshohen goldenen Buchstaben angebracht. Ein wahrheitsliebender Mensch hatte es geschafft, bis dort oben hinaufzuklettern und sie in leuchendem Rot teilweise mit
Gier, Folter, Feigheit
zu übermalen.
    »Die Überheblichkeit dieses fetten Arschlochs Salier.« Vitari grinste sie von der Seite an, das orangefarbene Haar schwarzbraun vom Regen. »Na ja, ich vermute, dass er nun keine großen Sprüche mehr klopfen wird, meinst du nicht?«
    Monza knurrte nur. Wenn sie in Vitaris knochiges Gesicht sah, stellte sie

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