Racheklingen
schätzen.
In den unteren Stockwerken waren noch mehr Soldaten unterwegs, sie wimmelten durch den ganzen Turm und zerrten alle möglichen Sachen aus Truhen und Kisten. Glas zersplitterte und knirschte, als sie eine von Morveers Kisten auf dem Boden auskippten. Day saß auf einem Bett daneben, das blonde Haar hing ihr ins Gesicht, und auch ihr waren die Hände auf den Rücken gebunden. Monza erhaschte kurz ihren Blick, und sie sahen sich an, aber sie hatten wenig Mitleid füreinander übrig. Immerhin hatte Day das Glück gehabt, ein Hemd zu tragen, als die Soldaten kamen.
Sie zerrten Monza unten in die Küche, und sie lehnte sich gegen die Wand, immer noch heftig atmend, immer noch splitternackt, aber inzwischen war ihr das egal. Furli war dort, und auch sein Bruder. Langrier ging zu ihnen und zog eine Geldbörse aus ihrer Gesäßtasche.
»Sieht so aus, als hätten Sie recht gehabt. Spitzel.« Sie zählte einige Münzen in die erwartungsvoll ausgestreckte Hand des Bauern. »Fünf Waag für jeden. Herzog Salier dankt Ihnen für Ihre Wachsamkeit, Bürger. Sie sagten, es wären noch mehr?«
»Vier weitere.«
»Wir werden den Turm bewachen lassen und sie später aufgreifen. Sie sollten währenddessen versuchen, mit Ihrer Familie woanders unterzukommen.«
Monza sah, wie Furli das Geld nahm, leckte das Blut ab, das aus ihrer Nase lief, und dachte, jawohl, das war es, wohin einen die Mildtätigkeit brachte. Man wurde für fünf Waag verkauft. Benna wäre angesichts dieses mickrigen Blutgeldes entsetzt gewesen, aber sie hatte größere Sorgen. Der Bauer warf ihr einen letzten Blick zu, als man sie aus der Tür zog. Es lag keinerlei Schuldbewusstsein in seinen Augen. Vielleicht hatte er das Gefühl, jetzt, inmitten eines Krieges, das Beste für seine Familie getan zu haben. Vielleicht war er stolz, dass er so viel Mut besessen hatte. Vielleicht hatte er damit auch recht.
Es schien jetzt immer noch so wahr wie damals, als Verturio diese Worte geschrieben hatte:
Erbarmen und Feigheit sind ein und dasselbe.
EIN SELTSAMES PAAR
Morveer war entschieden der Meinung, dass er sich in letzter Zeit viel zu oft auf Dachböden aufhielt. Und es machte die Sache überhaupt nicht besser, dass der, auf dem er sich jetzt befand, noch dazu schutzlos den Elementen ausgesetzt war. Das Dach der Häuserruine war größtenteils eingestürzt, und der Wind blies ihm kühl ins Gesicht. Die ganze Situation erinnerte ihn unangenehm an jene frische Frühlingsnacht, in der ihn zwei der hübschesten und beliebtesten Mädchen auf das Dach des Waisenhauses gelockt und ihn dann im Nachthemd dort oben eingeschlossen hatten. Am Morgen fand man ihn fast erfroren, zitternd und mit grauen Lippen. Wie hatten sie alle gelacht.
Die jetzige Gesellschaft trug auch nicht dazu bei, dass er sich besser fühlte. Schylo Vitari kauerte in der Dunkelheit, und ihr Kopf hob sich zerzaust vor dem Nachthimmel ab. Ein Auge kniff sie zu, vor dem anderen hielt sie ein Fernglas. Hinter ihnen in der Stadt brannten die Feuer. Der Krieg mochte für das Geschäft eines Giftmischers eine recht gute Zeit sein, aber Morveer zog es vor, mindestens eine Armeslänge Abstand von jeglichen Kampfhandlungen zu halten. Gern sogar beträchtlich mehr. Eine belagerte Stadt war kein Ort für einen zivilisierten Menschen. Er vermisste seinen Obstgarten. Er vermisste seine weiche Gänsedaunenmatratze. Während er sich den Kragen noch ein wenig höher um die Ohren zog, wandte er die Aufmerksamkeit nun wieder dem Palast von Großherzog Salier zu, der inmitten der schnell dahinströmenden Visser auf seiner langen Insel thronte.
»Wieso ein Mann mit meinen Fähigkeiten dazu eingesetzt werden sollte, eine Szenerie dieser Art einzuschätzen, entzieht sich völlig meinem Verständnis. Ich bin kein General.«
»Oh nein. Sie morden in wesentlich kleinerem Ausmaß.«
Morveer warf ihr einen bösen Seitenblick zu. »Genau wie Sie.«
»Sicher, aber ich beklage mich ja auch nicht.«
»Es ärgert mich unglaublich, mitten in einen Krieg getrieben zu werden.«
»Wir sind in Styrien. Es ist Frühling. Da herrscht nun mal Krieg. Wir sollten uns schnell einen Plan einfallen lassen und möglichst nicht so lange in der Nacht herumlaufen.«
»Hm. Und uns wieder im Feldarbeiter-Flüchtlingsheim der mildtätigen Murcatto einfinden, meinen Sie? Bei dem Gestank selbstgerechter Heuchelei kommt mir die Galle hoch.«
Vitari verschränkte die Hände und blies hinein. »Besser als hier draußen.«
»Tatsächlich? Unten
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