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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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Luft. »Wir müssen … reden.«
    »Ganz sicher. Aber nicht lange.« Sie blinzelte, dann erfasste ein seltsamer Krampf ihr Gesicht. Genau, wie er berechnet hatte. Er rümpfte die Nase, als er sein Skalpell klappernd auf den Tisch warf. »Die Klinge war nicht vergiftet, aber du hast gerade eine Phiole voller unverdünnter Leopardenblume getrunken.«
    Sie brach zusammen, verdrehte die Augen, die Haut färbte sich rosa, dann zuckte sie auf dem Stroh hin und her, und Schaum bildete sich auf ihren Lippen.
    Morveer trat vor, beugte sich über sie, bleckte die Zähne und legte ihr einen klauenartigen Finger auf die Brust. »
Mich
umbringen, ja? Mich
vergiften
? Castor
Morveer
?« Die Absätze ihrer Schuhe trommelten einen schnellen Rhythmus auf der festgestampften Erde und ließen kleine Wölkchen Strohstaub aufsteigen. »
Ich
bin der einzige König der Gifte, du … du kindgesichtige
Närrin
!« Aus ihrem wilden Zucken wurde ein verkrampftes Zittern, und sie bäumte sich auf, den Rücken unmöglich weit durchgestreckt. »Diese
Unverschämtheit
! Diese
Arroganz
! Diese
Beleidigung
! Diese, diese, diese …« Er suchte atemlos nach dem richtigen Wort, dann merkte er, dass sie tot war. Ein langes, zähes Schweigen folgte, als sich ihr Leichnam allmählich entspannte.
    »Scheiße!«, brüllte er. »Verdammte
Scheiße
!« Die winzige Befriedigung über seinen Sieg verging bereits wieder wie ein unzeitgemäßes Schneetreiben an einem warmen Tag, und ihm folgte die niederschmetternde Enttäuschung über den schmerzenden Verrat und das schlichte Unbehagen angesichts seiner neuen, gehilfenlosen und auftraggeberlosen Situation. Denn Days letzte Worte hatten ihm zweifelsohne bewiesen, dass die Schuld bei Murcatto lag. Dass sie bei all seiner selbstlosen Aufopferung, für die er nie ein Wort des Dankes gehört hatte, Pläne zu seiner Ermordung geschmiedet hatte. Wieso hatte er diese Entwicklung nicht vorhergesehen? Wie hatte er es nicht vorherahnen können, nach all den schmerzhaften Nackenschlägen, die er in seinem Leben bereits hatte einbüßen müssen? Er war einfach ein zu weicher Mensch für dieses harte Land und diese erbarmungslose Zeit. Zu vertrauensselig und zu gemeinschaftssinnig für sein eigenes Wohl. Stets neigte er dazu, die Welt aus seiner eigenen Güte heraus durch die rosarote Brille zu sehen, und war dazu verdammt, immer auch das Beste von anderen zu erwarten.
    »Dünn wie Löschpapier, ja? Scheiße! Du … verdammtes
Luder
!« Er trat voll kindischer Wut gegen Days Leichnam, sein Schuh schlug immer wieder gegen ihren Körper und ließ ihn erbeben. »
Eingebildet
?« Er kreischte das Wort beinahe. »
Ich
? Ich bin doch nun wirklich die
Bescheidenheit
… in … Person!« Plötzlich erkannte er, dass es einem Mann von seiner grenzenlosen Empfindsamkeit schlecht anstand, einen bereits toten Menschen zu treten, zumal einen, der ihm einst so teuer wie eine Tochter gewesen war. Unerwartet wallte melodramatisches Bedauern in ihm auf.
    »Es tut mir leid! Es tut mir so leid.« Er kniete sich neben sie, strich ihr sanft das Haar zurück und berührte ihr Gesicht mit bebenden Fingern. Dieses Bild der Unschuld, nun würde sie nie mehr lächeln, nie mehr sprechen. »Es tut mir so leid, aber … aber warum? Ich werde dich immer in Erinnerung behalten, aber – oh … urgh!« Scharfer Uringeruch drang ihm in die Nase. Der Leichnam entleerte sich, eine unvermeidliche Nebenwirkung der enormen Dosis Leopardenblume, die ein Mann mit seiner Erfahrung hätte kommen sehen sollen. Die Pfütze hatte sich bereits unter dem Stroh ausgebreitet und ihm die Knie seiner Hosen durchtränkt. Er erhob sich schwankend und verzog das Gesicht vor Ekel.
    »Scheiße! Scheiße!« Voll Wut packte er einen Flakon und schleuderte ihn gegen die Wand, und kleine Glassplitter flogen in alle Richtungen. Noch einmal trat er erzürnt gegen Days Körper, stieß sich die Zehen und humpelte dann mit schnellen Schritten durch die Scheune.
    »Murcatto!« Diese böse Hexe hatte seine Gehilfin zum Verrat angestiftet. Die beste und geliebteste Gehilfin, die er je ausgebildet hatte, seit er Aloveo Cray in Ostenhorm leider hatte vorzeitig vergiften müssen. Er wusste, dass er Murcatto in seinem Obstgarten hätte ermorden sollen, aber das Ausmaß, die Bedeutung und die scheinbare Unmöglichkeit des Auftrags, den sie ihm anbot, hatten seine Eitelkeit gekitzelt. »Verdammt sei meine Eitelkeit! Die
einzige
Schwäche meines Charakters!«
    Aber es konnte keine Rache geben.

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