Racheklingen
»
Nein
.« Nichts derart Niederes und Unzivilisiertes, das war nicht Morveers Art. Er war kein Wilder, kein Tier wie die Schlange von Talins und ihresgleichen, sondern ein gebildeter, kultivierter Edelmann von höchsten ethischen Grundsätzen. Er war nun, nach all seiner harten und loyalen Arbeit, ein wenig knapp bei Kasse, und daher würde er nicht auf eigene Rechnung arbeiten können. Er brauchte einen vernünftigen Dienstherrn und ein paar ordentliche und sauber motivierte Morde, aus denen ein ehrlicher Profit herauszuschlagen war.
Und wer würde ihn wohl dafür bezahlen, die Schlächterin von Caprile und ihre barbarischen Schergen zu töten? Die Antwort fiel ihm nicht besonders schwer.
Er stellte sich vor einem Fenster auf und verbeugte sich auf die speichelleckerischste Weise, die ihm möglich war, wobei er nicht einmal auf die schwungvolle Drehung der ausgestreckten Finger verzichtete. »Großherzog Orso, es ist mir eine unver … gleichliche
Ehre
.« Dann richtete er sich auf und runzelte die Stirn. Auf der Kuppe des langgestreckten Hügels zeichneten sich vor der grauen Morgendämmerung mehrere Dutzend Reiter ab.
»Für Ehre und Ruhm, und vor allem, für lohnenswerte Beute!« Gelächter kam auf, als der Getreue seinen Degen zog und ihn in die Luft streckte. »Auf geht’s!« Damit setzte sich die breite Linie der Reiter in Bewegung. Sie blieben locker zusammen, als sie durch den Weizen und auf die Koppel galoppierten; dort mäßigten sie den Schritt ihrer Tiere zu leichtem Trab.
Espe ritt mit ihnen. Er hatte keine andere Wahl, da der Getreue sich stets an seiner Seite hielt. Hätte er sich zurückfallen lassen, hätte das einen sehr schlechten Eindruck gemacht. Er hätte gern seine Axt zur Hand gehabt, aber wenn man auf eine Sache hoffte, dann ergab sich oft genug das genaue Gegenteil. Davon abgesehen erschien es zudem eine recht gute Idee, während des wilden Sturms den Hügel hinab beide Hände an den Zügeln zu halten.
Nun waren sie vielleicht noch hundert Schritt entfernt, und alles sah immer noch höchst friedlich aus. Espe blickte mit gerunzelter Stirn zum Haus, zur niedrigen Einfriedung und zur Scheune hinüber und machte sich bereit. Jetzt schien es doch ein sehr schlechter Plan. Das war schon von Anfang an so gewesen, aber wenn man diesen Plan nun ausführen musste, erschien er noch viel schlechter. Der Boden eilte unter den Hufen seines Pferdes vorbei, der Sattel ruckte unter seinem wunden Hintern, der Wind zupfte an seinem zusammengekniffenen Auge und kitzelte die frischen Narben auf der anderen Seite seines Gesichts, das sich ohne den Verband bitter kalt anfühlte. Der Getreue ritt noch immer neben ihm, hatte sich im Sattel hoch aufgerichtet und ließ seinen Mantel hinter sich herflattern, den Degen immer noch erhoben, und er rief: »Immer standhaft! Immer standhaft!« Zu seiner Linken verschob sich die Linie, Männer mit begierigen Gesichtern und ihre Pferde preschten mal weiter vor, mal nahmen sie sich wieder ein wenig zurück, die Speere in allen möglichen Winkeln höher oder tiefer gerichtet. Espe zog die Füße aus den Steigbügeln.
Dann krachten die Fensterläden des Bauernhauses mit einem Schlag beiseite. Espe sah die Osprianer in den Fenstern, das erste Morgenlicht schimmerte auf ihren Stahlkappen, als eine lange Reihe hinter der kleinen Trockensteinmauer auftauchte, die Flachbogen im Anschlag. Es kommt eine Zeit, in der man bestimmte Dinge einfach tun muss, Scheiß auf die Folgen. Die Brise fuhr ihm wild in die Kehle, als er tief einatmete und die Luft anhielt, dann warf er sich zur Seite und aus dem Sattel. Über den Hufschlag der Pferde, das Klappern von Metall und das Rauschen des Windes hinweg hörte er Monzas lauten Ruf.
Dann kam ihm der Boden entgegen und presste ihm die Zähne zusammen. Er überschlug sich stöhnend ein paar Mal und bekam eine Portion Dreck in den Mund. Die Welt drehte sich, dunkler Himmel und zuckende Erde, fliehende Pferde, stürzende Männer. Hufe schlugen um ihn herum, Dreck flog ihm in die Augen. Er hörte Schreie, und es gelang ihm, zumindest auf alle viere zu kommen. Dann prallte ein Toter mit ausgestreckten Armen gegen Espe und warf ihn wieder auf den Rücken.
Morveer rannte zur zweiflügligen Tür der Scheune und schob eine Seite gerade so weit auf, dass er den Kopf hindurchstecken konnte. Gerade noch rechtzeitig, um Zeuge zu werden, wie die osprianischen Soldaten sich hinter der Hofmauer erhoben und eine disziplinierte und tödliche
Weitere Kostenlose Bücher