Racheklingen
klebrige Hitze, die Müdigkeit in seinen geprellten Knochen und ein nagendes Gefühl von Hunger, da er kein Frühstück gehabt hatte.
Die Schreie eines Mannes drangen aus dem Haus, in dem man sich um die Verletzten kümmerte. Er schrie und schrie, ganz heiser und blubbernd. Aber zur gleichen Zeit sang ein Vogel auf der Dachrinne des Stalls ein freundliches Lied, und Espe stellte fest, dass er sich ohne weiteres darauf konzentrieren und das andere ausblenden konnte. Er lächelte und nickte zu der Vogelmelodie, lehnte sich gegen den Türrahmen und streckte das Bein aus. Offenbar konnte sich ein Mann mit der Zeit an alles gewöhnen. Und er wollte verdammt sein, wenn er sich von ein bisschen Geschrei von einem guten Platz auf einer Türschwelle verjagen ließ.
Er hörte Hufschlag und sah sich um. Monza kam langsam den Abhang hinabgeritten, eine schwarze Gestalt vor dem strahlend blauen Himmel. Er beobachtete, wie sie ihr schäumendes Pferd in den Hof lenkte und mit gerunzelter Stirn die Toten betrachtete. Ihre Kleider waren klatschnass, als hätte man sie in einen Bach geworfen. Auf einer Seite war ihr Haar mit Blut verklebt, und auch ihre Wange war rot verschmiert.
»Jo ho, Häuptling. Freut mich, dich zu sehen.« Das hätte wahr sein sollen, aber trotzdem fühlte es sich wie eine Lüge an. Er empfand kaum etwas, weder in die eine noch in die andere Richtung. »Der Getreue ist tot?«
»Er ist tot.« Sie stieg steifbeinig ab. »War es schwer, ihn hierherzulocken?«
»Nicht besonders. Er wollte mehr Kumpel mitbringen, als wir vermutet hatten, aber ich konnte mich nicht dazu durchringen, sie abzuweisen. Du weißt doch, wie das ist, wenn die Leute von einem Fest hören. Sie sahen so begierig aus, die armen Ärsche. War es schwer, ihn zu töten?«
Sie schüttelte den Kopf. »Er ist ertrunken.«
»Ach echt? Ich dachte, du hättest ihn erstochen.« Er hob ihren Degen auf und reichte ihn ihr.
»Ich habe ihn ein bisschen erwischt.« Sie sah die Klinge kurz an, nahm sie ihm dann aus der Hand und schob sie in die Scheide. »Dann ließ ich ihn ertrinken.«
Espe zuckte die Achseln. »War deine Entscheidung. Ertrinken erledigt einen Mann genauso gut, würd’ ich sagen.«
»Das hat es.«
»Fünf von sieben also.«
»Fünf von sieben.« Allerdings sah sie nicht so aus, als wollte sie feiern. Fast genauso wenig wie der Kerl, der um seinen toten Freund weinte. Es gab für alle wenig Grund zur Freude, auch nicht aufseiten der Sieger. So ist das mit der Rache.
»Wer schreit da?«
»Irgendjemand. Niemand.« Espe machte eine wegwerfende Geste. »Hör dir lieber den Vogel an.«
»Was?«
»Murcatto!« Vitari erschien mit verschränkten Armen im offenen Tor der Scheune. »Das solltest du dir ansehen.«
Drinnen war es kühl und dämmrig. Das Sonnenlicht strömte durch ein gezacktes Loch in einer Ecke und durch die schmalen Fenster herein und warf helle Streifen auf das dunkle Stroh. Ein Lichtstrahl lag auf Days Leiche, deren blondes Haar wirr über dem Gesicht hing, während der Körper auf seltsame Weise verdreht schien. Kein Blut. Überhaupt keine Spuren von Gewalt.
»Gift«, raunte Monza.
Vitari nickte. »Ist das nicht reine Ironie?«
Ein Gewirr aus Kupferrohren, Glasröhrchen und seltsam geformten Flaschen, das direkt aus der Hölle zu stammen schien, stand auf dem Tisch neben der Toten. Ein paar Lämpchen mit gelbblauen Flammen flackerten darunter, und in den Behältern blubberte, tröpfelte und tropfte irgendwelches Zeug. Espe gefiel der Anblick des Giftmischer-Apparates noch weniger als der Anblick der toten Gehilfin. Mit Leichen war er wohlvertraut, aber Wissenschaft war ihm unheimlich.
»Scheiß Wissenschaft«, brummte er. »Ist noch schlimmer als Magie.«
»Wo ist Morveer?«, fragte Monza.
»Nirgends zu sehen.« Die drei tauschen harte Blicke.
»Nicht unter den Toten?«
Espe schüttelte langsam den Kopf. »Es ist zwar schade, aber ich habe ihn dort nicht gesehen.«
Monza trat vorsichtig einen Schritt zurück. »Besser nichts anfassen.«
»Was meinst du?«, knurrte Vitari. »Was ist passiert?«
»Eine Meinungsverschiedenheit zwischen Meister und Gehilfin, so wie es aussieht.«
»Eine ernste Meinungsverschiedenheit«, murmelte Espe.
Vitari schüttelte langsam den stachligen Kopf. »Das war’s. Ich hau ab.«
»Du tust was?«, fragte Monza.
»Ich bin raus. In diesem Geschäft muss man wissen, wann man Schluss machen muss. Jetzt ist es Krieg, und damit möchte ich möglichst nichts zu tun haben. Es ist zu
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