Racheklingen
Wimpern waren verschwunden, die Lider eingeschrumpelt, das untere hing ein wenig herab. Wenn er mit dem rechten Auge blinzelte, dann zuckte das linke nur und blieb offen. Vor kurzem hatte er einmal geniest, und das zerstörte Auge hatte gezuckt wie ein Adamsapfel beim Schlucken, während die tote Emailpupille Monza die ganze Zeit über aus dem rosafarbenen Loch angestarrt hatte. Nur mit größter Willensanstrengung hatte sie den Brechreiz unterdrückt, und dennoch übte die Verletzung eine schreckliche Faszination auf sie aus, und sie guckte dauernd hin, ob so etwas noch einmal passieren würde. Es half wenig, dass sie wusste, dass er gar nicht sehen konnte, dass sie ihn anstarrte.
Sie hätte sich schuldig fühlen sollen. Schließlich war sie der Grund gewesen, oder nicht? Sie hätte Mitleid empfinden sollen. Schließlich hatte sie eigene Narben, die hässlich genug waren. Aber Ekel war alles, wozu sie sich aufraffen konnte. Sie wünschte sich, auf der anderen Seite neben ihm zu reiten, aber dazu war es nun zu spät. Sie wünschte sich, er hätte den Verband nie abgenommen, aber sie konnte ihm jetzt wohl kaum sagen, er solle ihn wieder anlegen. Also sagte sie sich, dass es heilen und besser werden würde, und vielleicht würde es das auch.
Aber nicht viel, und das wusste sie.
Er wandte sich plötzlich um, und sie erkannte, wieso er auf den Sattel gestarrt hatte. Sein rechtes Auge ruhte auf ihr. Sein linkes sah inmitten des Narbengewebes immer noch nach unten. Das Email musste verrutscht sein, und jetzt verliehen ihm die beiden in verschiedene Richtungen blickenden Augen einen Ausdruck verzerrter Verwirrung.
»Was?«
»Dein, äh …« Sie deutete auf ihr eigenes Gesicht. »Es ist ein bisschen … verrutscht.«
»Schon wieder? Scheiß Ding.« Mit dem Daumen schob er die bemalte Schicht wieder hoch. »Besser?« Jetzt sah das falsche Auge wieder gerade nach vorn, während das echte sie ansah. Es war beinahe ebenso schlimm wie vorher.
»Viel besser, ja«, sagte sie und gab sich alle Mühe zu lächeln.
Espe fauchte etwas auf Nordisch. »Ein erstaunliches Ergebnis, oder wie hat er das genannt? Wenn ich noch mal nach Puranti komme, dann werde ich diesem Arschloch von Augenmacher einen Besuch abstatten …«
Hinter einer Kurve des schmalen Pfads stießen sie auf die ersten Wachposten – ein Grüppchen zwielichtiger Gestalten in zusammengewürfelten Rüstungen. Monza kannte den Kerl, der den Befehl führte, vom Sehen. Sie hatte es sich zum Ziel gesetzt, jeden Altgedienten der Tausend Klingen zu kennen und zu wissen, wozu er besonders taugte. Der dort hieß Secco, ein zäher alter Wolf, der seit sechs Jahren oder länger als Korporal diente.
Er zielte mit seinem Speer auf sie, als sie ihre Pferde im Schritt gehen ließen, und seine Männer zückten ihre Flachbogen, Degen, Äxte. »Wer da …«
Sie nahm die Kapuze ab. »Was glaubst du, Secco?«
Die Worte blieben ihm im Hals stecken, und er stand da, den Speer schlaff in den Händen, und ließ sie vorüberreiten. Im Lager waren die Männer mit ihren üblichen morgendlichen Tätigkeiten beschäftigt, frühstückten und bereiteten sich auf den nächsten Marsch vor. Einige sahen auf, als sie und Espe den Weg entlangkamen, wenn man von einem Weg sprechen konnte; sie folgten vielmehr dem breitesten Trampelpfad, der sich zwischen den Zelten herausgebildet hatte. Dann fingen die Ersten an, sie anzustarren. Es wurden mehr, schließlich folgten ihnen die Leute in einiger Entfernung und sammelten sich am Weg.
»Das war sie.«
»Murcatto.«
»Sie lebt?«
Sie ritt an ihnen so vorüber, wie sie es früher immer getan hatte, die Schultern nach hinten, das Kinn stolz erhoben, mit einem verächtlichen Zug um den Mund und ohne sich die Mühe zu machen, die Männer auch nur anzusehen. Als bedeuteten sie ihr nichts. Als sei sie ein ihnen überlegenes Tier. Und gleichzeitig betete sie im Stillen, dass sie noch immer nicht kapierten, was sie bisher nie kapiert hatten und vor dessen Entdeckung sie stets starr vor Angst gewesen war.
Dass sie nämlich keine Ahnung hatte, was zur Hölle sie da tat, und dass ein Messer sie genauso umbringen würde wie jeden anderen Menschen.
Aber keiner von ihnen sprach sie an oder versuchte etwa, sie aufzuhalten. Söldner sind im Großen und Ganzen Feiglinge, sogar mehr noch als andere Leute. Männer, die töten, weil sie festgestellt haben, dass man sich so am leichtesten seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Söldner kennen keine Treue, das liegt
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