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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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Beine schmerzten bis in die Knochen, die rechte Hand sandte ein Pochen über den Unterarm bis in die Schulter, die Wunde an ihrem Kopf brannte, und ihr Puls hämmerte wie eine Keule hinter ihren Augen. Sie brachte es gerade fertig, einen Fuß in den Steigbügel zu schieben und sich in den Sattel zu ziehen.
    Als sie sich noch einmal umsah, krampften sich ihre Gedärme zusammen, und sie krümmte sich und spuckte einen Mundvoll heißer Kotze auf den schlammigen Boden, dann noch einen. Das Rad hatte den Getreuen unter sich hindurch gezogen und ließ ihn nun auf der anderen Seite wieder auftauchen, mit schlaffen Gliedern, zur Seite hängendem Kopf, weit offenen Augen und herausquellender Zunge. Um seinen Hals hingen Wasserpflanzen. Langsam, langsam hob ihn das Rad in die Luft, wie einen hingerichteten Verräter, der als abschreckendes Beispiel der Öffentlichkeit gezeigt wird.
    Sie wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab, fuhr sich mit der Zunge über die Zähne und versuchte spuckend, den bitteren Geschmack loszuwerden, während ihr dröhnender Kopf sich drehte. Wahrscheinlich hätte sie ihn von dort oben abschneiden sollen, um ihm das letzte bisschen Würde zu bewahren. Er war doch ihr Freund gewesen, oder nicht? Vielleicht kein Held, aber wer war das schon? Ein Mann, der in einem verräterischen Geschäft, in einer verräterischen Welt hatte treu bleiben wollen. Ein Mann, der treu hatte bleiben wollen und dann feststellen musste, dass Treue nicht mehr in Mode war. Wahrscheinlich hätte sie ihn ans Ufer schleppen sollen, irgendwohin, wo er zumindest still liegen konnte. Aber stattdessen wendete sie das Pferd und ritt zurück zum Gehöft.
    Würde nützte schon den Lebenden recht wenig, und den Toten nützte sie gar nichts. Sie war hierhergekommen, um den Getreuen zu töten, und er war nun tot.
    Jetzt hatte es keinen Zweck, deswegen zu heulen.

ERNTEZEIT
    Espe saß auf den Stufen des großen Bauernhauses, schnitt sich vorsichtig ein paar lose Hautfetzen von den vielen Schürfwunden auf seinem Unterarm und beobachtete dabei einen Mann, der über einen Toten gebeugt weinte. Freund. Bruder vielleicht sogar. Der Trauernde versuchte nicht, es zu verbergen, er saß gebeugt da und ließ die Tränen von seinem Kinn tropfen. Ein bewegender Anblick, wenn man von entsprechendem Gemüt war.
    Und das war Espe schon immer gewesen. Sein Bruder hatte ihn, als er noch klein war, Schweineschmalz genannt, weil er so weich war. Er hatte am Grab seines Bruders und auch am Grab seines Vaters geweint. Auch als sein Freund Dobban von einem Speer durchbohrt wurde und zwei Tage brauchte, um wieder zu Schlamm zu werden. In der Nacht nach dem Kampf um Dunbrec, als sie zusammen mit Dreibaum die Hälfte seiner Leute begraben hatten. Sogar nach der Schlacht auf den Hohen Höhen war er davongeschlichen, hatte sich einen einsamen Platz gesucht und eine ganze Pfütze Salzwasser zusammengeheult. Allerdings mehr aus Erleichterung darüber, dass die Kämpfe ein Ende hatten, als über die vielen Leben, die sie gekostet hatten. Er wusste, dass er bei all diesen Gelegenheiten geweint hatte, und er wusste, warum, aber jetzt konnte er sich ums Verrecken nicht mehr daran erinnern, wie er sich dabei gefühlt hatte. Er fragte sich, ob es noch irgendjemanden auf der Welt gab, um den er weinen würde, und er war sich nicht sicher, ob ihm die Antwort gefiel.
    Er trank einen abgestandenen Schluck Wasser aus seiner Feldflasche und sah einigen osprianischen Soldaten zu, die sich über die Toten hermachten und sie ausplünderten. Einer rollte einen Leichnam auf den Rücken, wobei blutige Eingeweide aus einer klaffenden Wunde an der Seite quollen, zog ihm den Stiefel ab, entdeckte ein Loch in der Sohle und warf das Schuhwerk wieder weg. Zwei andere hatten sich die Ärmel hochgekrempelt, einer trug eine Schaufel über der Schulter, und sie stritten sich darüber, wo man am leichtesten mit dem Graben beginnen konnte. Espe beobachtete die Fliegen, die durch die sirupdicke Luft surrten und sich bereits auf die offenen Münder, die offenen Augen und die offenen Wunden setzten. Er betrachtete gezackte, klaffende Schnitte und gebrochene Knochen, abgehackte Glieder und hervortretende Innereien, dicke Blutspuren, trocknende Spritzer und Flecken, rotschwarze Pfützen auf dem steinigen Hof, und er fühlte zwar nicht die Zufriedenheit wie nach erfolgreich getaner Arbeit, aber auch keinen Ekel, keine Schuld und kein Bedauern. Nur das Brennen seiner Abschürfungen, die unangenehm

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