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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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die richtige Richtung blicken zu lassen. Als sie aus dem Lager ritten, konnte sie kaum sehen. Die große Generalin, Herzog Orsos Möchtegern-Mörderin, sackte wie totes Fleisch im Sattel zusammen.
    Wenn man sich zu hart macht, dann wird man auch zu brüchig. Und wenn man schließlich zerbricht, dann in tausend Stückchen.

VI

OSPRIA
     
    »Ein Blick des Schmerzes mir gefällt,
denn ich weiß, er ist wahrhaftig.«
 
EMILY DICKINSON
     
    Es schien, als könnte ein wenig Gold sehr viel Blut verschmerzen. Es war unmöglich, Musselia ohne eine endlos lange Belagerung zu erobern, so viel war allgemein bekannt. Die Stadt war einst eine große Festung des Neuen Kaiserreichs gewesen, und die Bewohner waren sehr stolz auf die uralten Stadtmauern. Vielleicht verließen sie sich ein wenig zu sehr darauf, jedenfalls steckten sie zu wenig Gold in die Taschen ihrer Verteidiger. Benna konnte schon für eine beinahe enttäuschend kleine Summe veranlassen, dass ein kleines Seitentor unverschlossen blieb.
    Noch bevor der Getreue Carpi und seine Männer die Verteidigungsanlagen in Besitz nahmen, und lange bevor die Tausend Klingen durch die Stadt strömten und mit der Plünderung begannen, führte Benna Monza durch die dunklen Straßen. Dass er sie führte und nicht umgekehrt, war an sich schon ungewöhnlich.
    »Wieso wolltest du vorangehen?«
    »Wirst du gleich sehen.«
    »Wo gehen wir hin?«
    »Wir holen dir dein Geld zurück. Mit Zinsen.«
    Monza runzelte die Stirn, als sie ihm eilig folgte. Die Überraschungen ihres Bruders bargen meist einen Haken. Es ging durch einen engen Durchgang in eine schmale Gasse. Bis zu einem gepflasterten Innenhof, der von zwei flackernden Fackeln beleuchtet wurde. Ein Kanteser in schlichter Reisekleidung stand neben einem Planwagen mit vorgespanntem Pferd. Monza kannte ihn nicht, aber der Mann kannte Benna, kam auf ihn zu, die Hände ausgestreckt, und sein Lächeln leuchtete in der Dunkelheit.
    »Benna, Benna. Schön, dich zu sehen!« Sie umarmten sich wie alte Gefährten.
    »Dich auch, mein Freund. Das ist meine Schwester Monzcarro.«
    Der Mann verbeugte sich vor ihr. »Die Berühmte und Furchteinflößende. Es ist mir eine Ehre.«
    »Somenu Hermon«, sagte Benna und lächelte breit. »Der größte Kaufmann von Musselia.«
    »Nicht mehr als ein bescheidener Händler, wie alle anderen auch. Es gibt nur noch ein paar letzte … Dinge … einzupacken. Meine Frau und meine Kinder sind bereits unterwegs.«
    »Gut. Das macht diese Sache wesentlich leichter.«
    Monza sah ihren Bruder irritiert an. »Was soll das …«
    Benna riss ihr den Dolch aus dem Gürtel und stach Hermon unerwartet ins Gesicht. Es geschah so schnell, dass der Kaufmann noch lächelte, als er fiel. Monza zog sofort aus Reflex ihren Degen, starrte in die Schatten auf dem Hof, sah sich hastig auf der Straße um, aber alles blieb ruhig.
    »Was, zur Hölle, hast du da getan?«, fauchte sie ihn an. Er war auf den Wagen gesprungen, riss die Leinwand beiseite, und ein verrückter, begieriger Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Mit etwas Mühe bekam er den Deckel einer Kiste auf, die auf dem Wagen stand, griff hinein und ließ mit dem klingenden Geräusch fallenden Geldes Münzen durch seine Finger gleiten.
    Gold.
    Sie sprang zu ihm hinauf. Mehr Gold, als sie je auf einem Haufen gesehen hatten. Mit ungläubig geweiteten Augen wurde ihr klar, dass hier noch mehr solcher Kisten standen. Sie schob die Leinwand mit bebenden Händen beiseite. Noch viel mehr.
    »Wir sind reich!«, kreischte Benna. »Wir sind reich!«
    »Wir waren vorher schon reich.« Sie sah zu ihrem Messer, das noch in Hermons Auge steckte. Das Blut wirkte im Lampenlicht schwarz. »Musstest du ihn umbringen?«
    Er starrte sie an, als sei sie verrückt geworden. »Ihn ausrauben und dann am Leben lassen? Spinnst du? So sind wir sicher.«
    »Sicher? So viel Gold bedeutet das genaue Gegenteil von Sicherheit, Benna!«
    Er verzog das Gesicht, als ob ihn ihre Worte verletzten. »Ich dachte, du würdest dich freuen. Gerade du, wo du doch früher für nichts im Dreck wühlen musstest.« Als sei er von ihr enttäuscht. »Das ist für uns. Für uns, verstehst du?« Als widerte sie ihn an. »Erbarmen und Feigheit sind dasselbe, Monza! Ich dachte, das wüsstest du.«
    Was hätte sie tun sollen? Die Wunde in Hermons Gesicht ungeschehen machen?
    Offenbar kostete ein wenig Gold ziemlich viel Blut.

DER ANGRIFFSPLAN
    Die südliche Kette des Urvalgebirges, die man auch als das Rückgrat Styriens

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