Racheklingen
Worte klangen nicht viel lauter, als wenn er sie nur leise vor sich hin gesagt hätte.
»Zum Angriff.«
Männer kletterten noch immer leicht benommen aus den Gräben. Einer machte ein paar schwankende Schritte und fiel dann vornüber. Andere standen einfach nur blinzelnd da. Wieder andere begannen sich unsicher den Abhang hinaufzutasten, und schon bald krabbelten ein paar hundert Männer durch die Trümmer auf die Bresche zu, und ihre Waffen und Rüstungen leuchteten schwach in der wässrigen Sonne.
Cosca blieb allein mit Victus im Graben zurück, beide mit grauem Staub bedeckt.
»Wo ist Sesaria?« Die Worte drangen dumpf durch das Pfeifen in Coscas Ohren.
Seine eigene Stimme klang seltsam verzerrt. »Er war nicht hinter mir?«
»Nein. Was ist passiert?«
»Ein Unfall. Ein Unfall … als wir rauswollten.« Es war nicht schwer, eine Träne herauszuquetschen, von Kopf bis Fuß mit blauen Flecken und Abschürfungen bedeckt und lädiert, wie Cosca war. »Ich habe meine Lampe fallen lassen! Einfach fallen lassen! Und die hat nach der Hälfte der Strecke das Pulver entzündet!« Er packte Victus an seinem geriffelten Brustpanzer. »Ich habe ihm gesagt, er solle mit mir loslaufen, aber er blieb zurück … um die Flammen zu löschen.«
»Er blieb zurück?«
»Er dachte, er könnte uns beide retten!« Cosca schob sich eine Hand über das Gesicht, und seine Stimme klang gänzlich von Gefühl übermannt. »Es war meine Schuld, meine Schuld! Er war wirklich der Beste von uns allen.« Aufheulend sah er zum Himmel empor. »Warum nur! Warum? Warum nehmen die Schicksalsgöttinnen immer die Besten?«
Victus’ Blick glitt zu Coscas leerer Degenscheide, dann wieder zu dem großen Krater in der Bergflanke und der gähnenden Bresche darüber. »Tot, was?«
»In Stücke gerissen«, flüsterte Cosca. »Das Hantieren mit Gurkhisenzucker kann ein gefährliches Geschäft sein.« Die Sonne war herausgekommen. Am Hang kletterten Victus’ Leute wie eine schimmernde Flut über die Seiten des Kraters und durch die Bresche, offenbar, ohne dabei auf Widerstand zu stoßen. Falls irgendwelche Verteidiger die Sprengung überlebt hatten, dann hatten sie offenbar keine Lust mehr, zu kämpfen. Der äußere Hof von Fontezarmo gehörte ihnen. »Wir haben gesiegt. Wenigstens war Sesarias Opfer nicht umsonst.«
»Oh nein.« Victus sah ihn mit zusammengekniffenen Augen von der Seite an. »Er wäre stolz gewesen.«
STYRIEN, GEEINT
Das hallende Brummen der Menge auf der anderen Seite der Türen wurde stetig lauter, und im gleichen Maße verstärkte sich auch das Grollen in Monzas Eingeweiden. Sie versuchte, die kitzelnde Spannung unter ihrem Kinn wegzureiben. Es klappte nicht. Aber sie konnte nichts tun, außer zu warten. Bei der heutigen großen Vorstellung bestand ihre Rolle allein darin, mit ausdruckslosem Gesicht dazustehen und wie Hochadel auszusehen. Die besten Schneider von Talins hatten sich alle Mühe gegeben, diese alberne Lüge in ein überzeugendes Gewand zu kleiden. Sie hatten ihr lange Ärmel verpasst, um die Narben an den Armen zu verbergen, einen hohen Kragen, der über den Narben um ihren Hals lag, und Handschuhe, um die verkrüppelte Hand präsentabel zu machen. Sie waren sehr erleichtert gewesen, dass sie trotzdem einen recht tiefen Ausschnitt wählen konnten, ohne dass Rogonts empfindsame Gäste einen Schreck bekamen. Es war ein Wunder, dass sie nicht auch am Rücken ein großes Loch gelassen hatten, um ihren Hintern zu präsentieren, der immerhin ungefähr das einzige andere große Stückchen Haut darstellte, das keine wie auch immer gearteten Spuren aufwies.
Nichts war zu sehen, was Herzog Rogonts perfekt geplanten historischen Augenblick hätte beeinträchtigen können. So natürlich auch kein Degen, und sie vermisste das Gewicht der Waffe, als hätte sie ein Körperglied verloren. Sie fragte sich, wann sie zum letzten Mal ohne eine Klinge in Reichweite irgendwo hingegangen war. Nicht einmal zu dem Treffen des Stadtrats von Talins, an dem sie einen Tag nach ihrer Erhebung in den Adelsstand teilgenommen hatte.
Der alte Rubine hatte ihr gesagt, dass sie im Saal keinen Degen tragen müsste. Sie erwiderte, dass sie in den letzten zwanzig Jahren keinen einzigen Tag ohne Klinge verbracht hatte. Daraufhin hatte er höflich erklärt, dass weder er noch seine Kollegen bewaffnet waren, obwohl sie allesamt Männer waren und ihnen eine solche Bewaffnung daher viel besser anstand. Sie hatte ihn gefragt, womit sie ihn erstechen
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