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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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Finger und verknotete sie ineinander. »Ich wünschte, ich wäre mutig. Man sagt mir immer, ich sei mächtig. Man würde doch denken, wer Macht hat, braucht vor nichts Angst zu haben. Aber ich habe immer Angst. Vor allem bei
großen Ereignissen
.« Die Worte platzten zu Monzas wachsendem Unbehagen geradezu aus der jungen Gräfin heraus. »Manchmal kann ich mich gar nicht bewegen, weil ein solches Gewicht auf mir lastet. Was kann ich nur dagegen tun? Was würden Sie denn tun?«
    Monza hatte nicht die Absicht, ihre eigenen Ängste zu diskutieren. Das hätte sie lediglich noch gesteigert. Aber Cotarda schwafelte dessen ungeachtet weiter.
    »Ich habe überhaupt keinen Charakter, aber wie erwirbt man denn so etwas? Entweder man hat Charakter oder eben nicht. Sie haben Charakter. Das sagt jeder. Woher haben Sie ihn? Wieso habe ich keinen? Manchmal glaube ich, ich wurde aus Papier ausgeschnitten und tue nur so, als sei ich jemand. Man sagt mir immer, ich sei ein großer Feigling. Was kann ich nur dagegen tun? Dagegen, ein Feigling zu sein, meine ich?«
    Sie starrten einander einen langen Augenblick an, dann zuckte Monza die Achseln. »Handeln Sie so, als wären Sie keiner.«
    Die Türflügel schwangen auf.
    Musiker, die sich irgendwo außer Sicht befanden, stimmten eine gemessene Melodie an, als sie und Cotarda in das große Rund des Senatsgebäudes traten. Obwohl es kein Dach gab und die Sterne schon bald am blauschwarzen Himmel aufleuchten würden, war es heiß. Heiß und klamm wie in einem Grab, und der parfümierte Gestank von Blumen schnürte Monza die Kehle zu und bescherte ihr einen Würgreiz. Tausende von Kerzen brannten in der Dunkelheit und erfüllten die große Arena mit kriechenden Schatten, ließen die Goldfarbe schimmern, die Juwelen glitzern und verwandelten die vielen Hundert lächelnden Gesichter, die ringsum aufragten, in grinsende Masken. Alles war übergroß – die Menge, die raschelnden Banner hinter den Leuten, der Veranstaltungsort an sich. Alles war übertrieben, wie eine Szene aus einer grellen Fantasie.
    Ziemlich viel Aufwand, nur um zuzusehen, wie sich ein Mann einen neuen Hut aufsetzte.
    Das Publikum bestand aus den verschiedensten Gästen. Den größten Teil stellten die Styrer, reiche und mächtige Männer und Frauen, Kaufleute und niedere Adlige aus dem ganzen Land. Dazu kamen berühmte Künstler, Diplomaten, Dichter, Handwerker, Soldaten – Rogont wollte niemanden ausschließen, dessen Teilnahme ein noch helleres Licht auf seine Krönung hätte werfen können. Die Gäste aus dem Ausland saßen vor allem auf den besten Plätzen recht weit vorn. Sie waren gekommen, um dem neuen König von Styrien ihren Respekt zu bezeugen, vielleicht aber auch nur, um irgendeinen Vorteil aus seinem Aufstieg zu ziehen. Kaufmannskapitäne von den Tausendinseln waren dort, die goldene Ringe in den Ohren trugen. Nordmänner mit dichten Bärten, Baoliten mit hellen Augen. Eingeborene aus Suljuk in leuchtenden Seidengewändern und zwei Priesterinnen aus Thond, wo man die Sonne anbetete, die ihre Köpfe bis auf kurze blonde Stoppeln rasiert hatten. Drei nervös wirkende Ratsherren aus Westport. Die Union glänzte wenig überraschend durch Abwesenheit, aber die gurkhisische Delegation war nur zu gern bereit gewesen, auch diese Plätze einzunehmen. Ein Dutzend Gesandte des Imperators Uthman-ul-Dosht, schwer mit Gold behängt. Ein Dutzend Priester des Propheten Khalul in nüchternem Weiß.
    Monza schritt durch sie alle hindurch, als seien sie nicht da, die Schultern zurückgenommen, die Augen nach vorn gerichtet, jenen verächtlichen Zug um den Mund, den sie stets zeigte, wenn sie besonders viel Angst hatte. Lirozio und Patine kamen Cotarda und ihr mit ebenso großer Geste entgegen. Sotorius wartete neben dem Stuhl, der den goldenen Mittelpunkt des ganzen Ereignisses darstellte, schwer auf seinen Stock gestützt. Der alte Mann hatte darauf beharrt, lieber in die Hölle fahren zu wollen, bevor er vor Publikum eine Rampe hinunterwankte.
    Sie erreichten die runde Plattform und versammelten sich dort unter den erwartungsvollen Blicken vieler Tausend Augenpaare. Die fünf großen Regenten Styriens, denen die Ehre widerfahren würde, Rogont krönen zu dürfen, waren auf eine symbolische Weise gekleidet, deren Bedeutung nicht einmal einem Schrumpfkopf hätte entgehen können. Monza war in Perlweiß gewandet, und auf der Brust ihres Kleides war das Kreuz von Talins in funkelnden Bruchstückchen schwarzen Kristalls aufgestickt.

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