Racheklingen
durch die Menge. Auf purpurnem Samt lag die Krone. Ein dicker Goldreif, ringsherum mit einem Streifen dunkel schimmernder Saphire besetzt. Fünf goldene Eichenblätter traten daraus hervor, und vorn rollte sich ein sechstes um einen monströsen, blitzenden Diamanten, so groß wie ein Hühnerei. Das Ding war so enorm, dass es in Monza den seltsamen Wunsch auslöste, darüber zu lachen.
Mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes, der mit bloßen Händen eine verstopfte Latrine säubern soll, griff Lirozio in die Kiste und umfasste eines der goldenen Blätter. Mit resigniertem Schulterzucken tat Patine es ihm gleich. Dann Sotorius und Cotarda. Monza nahm das letzte kleine Blatt mit ihrer behandschuhten Rechten, deren abstehender kleiner Finger auch dann nicht besser funktionierte, wenn er in weiße Seide gehüllt war. Sie sah in die Gesichter derer, die angeblich Ihresgleichen waren. Zwei Münder, die gezwungen lächelten, ein leicht verächtliches Grinsen und ein offen abfällig verzogenes Gesicht. Sie fragte sich, wie lange es dauern würde, bis diese stolzen Fürsten, die es so sehr gewöhnt gewesen waren, ihre Geschicke selbst zu lenken, sich gegen diese für sie wenig vorteilhafte neue Ordnung auflehnen würden.
So wie es aussah, begann das Joch bereits zu drücken.
Gemeinsam nahmen alle fünf die Krone und machten ein paar ungelenke Schritte nach vorn, wobei Sotorius noch irgendwie die Kiste umrunden musste, und dann schoben und zerrten sie einander mittels des unbezahlbaren Herrschaftssymbols kurz hin und her. Schließlich gelangten sie zu dem Stuhl, und gemeinsam hoben sie die Krone hoch über Rogonts Kopf. Einen Augenblick hielten sie inne, als hätten sie das verabredet, und vielleicht fragten sie sich allesamt, ob es noch einen Ausweg aus dieser Situation gab. Der große Raum wurde auf unheimliche Weise still, alle Männer und Frauen hielten den Atem an. Dann nickte Sotorius resigniert, und die fünf Regenten senkten die Krone, setzten sie Rogont vorsichtig aufs Haupt und traten beiseite.
Styrien, so schien es, war nun vereint.
Sein König erhob sich langsam von dem Stuhl und breitete die Arme aus, die Handflächen nach oben gerichtet, als könne er direkt durch die uralten Mauern des Senatsgebäudes in eine leuchtende Zukunft sehen.
»Liebe Mitbürger Styriens!«, dröhnte er, und die Stimme hallte von den Steinen zurück. »Brave Untertanen! Und liebe Freunde aus dem Ausland, seid willkommen!« Es waren vor allem gurkhisische Freunde, aber da der Prophet ihm einen so großen Diamanten für seine Krone spendiert hatte … »Die Blutigen Jahre sind zu Ende!« Oder zumindest würden sie es demnächst sein, wenn Monza Orsos Blut vergossen hatte. »Die großen Städte unseres stolzen Landes werden nicht länger gegeneinander kämpfen!« Das blieb abzuwarten. »Wir werden auf ewig brüderlich zusammenstehen, freiwillig verbunden durch die Bande der Freundschaft, der Kultur und des gemeinsamen Erbes. Und gemeinsam marschieren!« Vermutlich in ebenjene Richtung, die Rogont vorgeben würde. »Es ist, als ob … Styrien aus einem Albtraum erwache. Einem Albtraum, der nun schon neunzehn Jahre gedauert hat. Einige von uns, davon bin ich überzeugt, können sich gar nicht mehr an eine Zeit ohne Krieg erinnern.« Monza runzelte die Stirn und dachte an den Pflug ihres Vaters, der durch die schwarze Erde fuhr.
»Aber nun … sind die Feldzüge vorüber! Und wir alle haben gewonnen! Jeder Einzelne von uns.« Einige mehr als die anderen, das musste kaum betont werden. »Nun ist die Zeit des Friedens gekommen! Der Freiheit! Der Heilung!« Lirozio räusperte sich geräuschvoll und zerrte mit gequältem Gesicht an seinem bestickten Kragen. »Nun ist die Zeit der Hoffnung, der Vergebung, der Einheit!« Und völliger Unterwerfung natürlich. Cotarda starrte auf ihre Hand. Ihre blasse Innenfläche zeigte rosa Flecken von beinahe so intensiver Farbe wie ihr scharlachrotes Kleid. »Nun ist die Zeit gekommen, einen großen Staat zu bilden, der den Neid der ganzen Welt erwecken wird! Nun ist die Zeit …« Lirozio hustete, und Schweifstropfen zierten sein rot angelaufenes Gesicht. Rogont warf ihm einen wütenden Seitenblick zu. »Nun ist die Zeit gekommen, dass Styrien …« Patine krümmte sich zusammen und stieß ein gepeinigtes Stöhnen aus, die Lippen schmerzerfüllt hochgezogen.
»… vereint …« Irgendetwas stimmte nicht, das war für alle Anwesenden klar zu erkennen. Cotarda machte einen Schritt rückwärts und stolperte.
Weitere Kostenlose Bücher