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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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beobachtete, und es lag etwas in den traurigen, flachen Augen des Sträflings, das ihn zum Nachdenken brachte. Er war Nicomo Cosca, verdammt noch mal! Oder zumindest war er es einmal gewesen. Städte hatten vor ihm gezittert und so weiter. Er hatte zu viele Jahre damit verbracht, nicht weiter als bis zum nächsten Schluck zu denken. Es war an der Zeit, weiter vorauszuschauen. Zumindest bis zum Schluck nach dem nächsten. Aber eine solche Läuterung war nicht so einfach.
    Er konnte beinahe fühlen, wie der Schweiß aus seinen Poren drang. Sein Kopf pochte und dröhnte vor Schmerz. Er kratzte sich den juckenden Hals, aber der juckte daraufhin nur noch mehr. Sein Lächeln sah aus wie das eines Schädels, das wusste er, und er redete viel zu viel. Aber entweder lächelte er und redete, oder er würde schreien, bis sein verdammter Kopf explodierte.
    »… hast mir bei der Belagerung von Muris das Leben gerettet, nicht wahr, Monza? Bei Muris war das, oder?« Er konnte inzwischen nicht einmal selbst mehr sagen, wieso er bei diesem Thema angelangt war. »Dieser Drecksack kam aus dem Nichts auf mich zu! Ein schneller Stoß!« Beinahe hätte er seinen Wasserbecher mit einer ungelenken Geste umgeworfen. »Und sie hat ihn durchbohrt! Mitten durchs Herz, das schwöre ich. Hat mir das Leben gerettet. Bei Muris. Hat mir … das Leben … gerettet …«
    Und beinahe wünschte er sich jetzt, sie hätte ihn sterben lassen. Die Küche schien sich zu drehen und in eine Schieflage zu geraten wie eine Schiffskajüte im tödlichen Sturm. Fast erwartete er zu sehen, wie der Wein aus den Gläsern kippte, die Fleischsuppe aus den Schüsseln lief und die Teller von dem hin und her schwankenden Tisch rutschten. Natürlich wusste er, dass der Sturm lediglich in seinem Kopf stattfand, aber dennoch merkte er, dass er sich an den Möbeln festkrallte, wenn der Raum sich besonders heftig zu bewegen schien.
    »… wäre ja gar nicht so schlimm gewesen, wenn sie das am nächsten Tag nicht gleich wieder gemacht hätte. Ich bekam einen Pfeil in die Schulter und fiel in den verdammten Wallgraben. Hat jeder gesehen, auf beiden Seiten. Dass ich vor meinen Freunden wie ein Idiot aussah, war eine Sache, aber vor meinen Feinden …«
    »Deine Erinnerung trügt.«
    Cosca schielte über den Tisch hinweg zu Monza hinüber. »Tut sie das?« In der Tat musste er zugeben, dass er sich kaum noch an seinen letzten Satz erinnern konnte, von den Ereignissen, die vor einem Dutzend betrunkener Jahre bei einer Belagerung stattgefunden hatten, ganz zu schweigen.
    »Das im Wallgraben war ich, und du warst derjenige, der hinuntersprang, um mich herauszuholen. Hast dein Leben riskiert und dir dabei einen Pfeil eingefangen.«
    »Klingt irgendwie erstaunlich, dass ich so etwas getan haben soll.« Es fiel ihm schwer, an irgendetwas anderes zu denken als an die Gier nach einem Schluck. »Aber tatsächlich finde ich es schwer, mich an die genauen Einzelheiten zu erinnern, das muss ich zugeben. Wenn mir vielleicht gerade jemand den Wein reichen könnte, dann würde ich …«
    »Das reicht.« Sie hatte denselben Gesichtsausdruck, den sie auch früher aufzusetzen pflegte, wenn sie ihn aus der einen oder anderen Taverne schleppte, nur noch zorniger, noch härter, noch enttäuschter. »Ich muss fünf Männer umbringen, und ich habe keine Zeit mehr dafür, jemanden zu retten. Schon gar nicht vor der eigenen Dummheit. Für einen Trunkenbold habe ich keine Verwendung.« Am Tisch schwiegen alle und sahen zu, wie er schwitzte.
    »Ich bin kein Trunkenbold«, krächzte Cosca. »Ich mag einfach den Geschmack von Wein. So sehr, dass ich alle paar Stunden etwas davon trinken muss, weil mir sonst schrecklich übel wird.« Er klammerte sich an seine Gabel, während der Raum wieder um ihn tanzte, setzte sein schmerzvolles Lächeln wieder auf, während die anderen kicherten. Sollten sie doch ihr Lachen so lange genießen, wie sie konnten – Nicomo Cosca lachte immer zuletzt. Immer vorausgesetzt natürlich, dass ihm nicht gerade speiübel war.
     
    Morveer fühlte sich ausgeschlossen. Von Angesicht zu Angesicht war er ein fesselnder Gesprächspartner, das musste kaum betont werden, aber in großen Gruppen war er nie besonders entspannt. Diese Szenerie erinnerte ihn auf unangenehme Weise an den Speisesaal im Waisenhaus, wo sich die größeren Kinder damit amüsiert hatten, ihn mit Essen zu bewerfen, und das war jedes Mal die entsetzliche Einleitung dazu, dass sie in seiner Gegenwart flüsterten, ihn

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