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Rachekuss

Rachekuss

Titel: Rachekuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Broemme
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dass ich alle Kinder im Kindergarten gebissen hab«, erzählte sie und ihre Augen blitzten. »Sei froh, dass ich über das Alter raus bin.«
    »Sicher?« Yannik konnte es nicht lassen. Worauf Carina seine Hand packte und herzhaft hineinbiss.
    »Au«, schrie er und Flora konnte nicht genau sagen, ob er spielte oder nicht.
    »Lass doch, Carina«, sagte sie und zog ihre Freundin von ihm weg.
    Carina fletschte die Zähne, als sei sie ein Tiger, und machte grimmige Geräusche. Dann sprang sie mit beiden Füßen auf eine leere Plastiktüte, die auf dem Asphalt herumlag, und malträtierte sie mit ihren Tritten. Dazu stieß sie kleine, spitze Schreie aus, bis die Tüte von einem Windstoß fortgeblasen wurde.
    »Uhhh«, machte Flora. »Du bist ja wie eine Iansã, ich hab Angst vor dir…«
    »Eine was?«, fragten Carina und Yannik wie aus einem Mund.
    »Na, das ist so eine Art Amazone, eine Göttin des Macumba, eine kriegerische Windbraut. Sie ist stark und unabhängig, wild und unberechenbar.«
    »Klingt gut«, freute sich Carina und zog gleich eine Furcht einflößende Grimasse. »Werden der auch Tieropfer und so was dargebracht, so wie bei Voodoo?« Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und versuchte, die Zungenspitze durch den Piercing-Ring zu stoßen.
    Yannik lachte. »Ihr habt sie ja nicht alle. Voodoo – Tieropfer –, das ist doch folkloristischer Schnickschnack…«
    Flora sah ihn ernst an. »Sag das nicht. Diese Mischreligionen aus dem, was die schwarzen Sklaven aus Afrika mitgebracht haben, und dem, was die christliche Religion beigesteuert hat, sind immer noch total beliebt in Brasilien, egal ob du es jetzt Voodoo, Macumba oder Candomblé nennst. Hauptsächlich ist das natürlich eine Religion der Armen. Aber ich kenne eine ganze Menge Leute, die total scharf darauf sind, an einem Candomblé, so einer Versammlung, einer Art Gottesdienst, teilzunehmen. Das ist ziemlich in. Ist halt eine Naturreligion, krasser Gegensatz zu all dem Zivilisationsscheiß, der die Großstädter so stresst. Es ist irgendwie sexy zu behaupten, man sei eine Jüngerin der Iansã oder so. Wer richtig initiiert ist, fällt in Trance und wird von ›seinem‹ Gott besessen. Und dann muss man tun, was der Gott will, der gibt quasi vor, wie man ist. Das ist ein bisschen wie bei Sternzeichen, der angeblich ehrgeizige Steinbock, der sensible Krebs und so. Carina, deine Göttin wäre bestimmt Iansã.«
    »Und meiner?«, fragte Yannik, nun doch neugierig geworden.
    Flora sah ihn lange an. »Vielleicht Xangô, ein sehr beliebter Schutzgott. Der aber auch fürchterliche Zornesausbrüche haben kann.«
    Yannik grinste breit und fauchte dann. »Wo bleiben meine Tieropfer?«
    »Na, du würdest deinem Gott die Tieropfer bringen, Ziegen oder Hühner oder so, damit dein Gott dir wohlgesinnt ist.«
    »Und? Warst du mal bei so was dabei?« Yanniks Blick hatte etwas Gieriges bekommen. Er wollte Blutrünstiges hören, aber Flora schüttelte bedächtig den Kopf. »Das findet hauptsächlich in Bahia statt, im Nordosten, nicht in Rio. War noch nie dort.« Sie trank den Rest ihrer Bierflasche leer und gähnte dann ausgiebig.
    »Ich glaub, ich muss jetzt heim«, beschloss sie, und bevor Yannik auch nur das Angebot machen konnte, sie zu begleiten, hängte sich Carina bei ihr ein.
    »Ich komm mit. Du kannst dich auf meinen Gepäckträger setzen.«
    »Ein unwiderstehliches Angebot«, lachte Flora und warf Yannik eine Kusshand zu. Mit finsterer Miene sah er den Mädchen nach, die im Dunkeln verschwanden.
    Als sie am Montagmorgen in die Schule kam – endlich mit einem eigenen, etwas altmodischen Fahrrad, das sie im Gartenhäuschen gefunden hatte –, hatte Flora noch stärker als in der ersten Woche das Gefühl, jeder würde sie begaffen. Ob es sich hier so schnell herumsprach, mit wem man knutschte? Marie und Xenia, zwei Mädchen, die nicht nur den Deutschkurs, sondern auch den Geschichtskurs mit ihr teilten, tuschelten derart auffällig, dass Flora ein Foto davon machte und es Carina aufs Handy schickte, die gerade in ihrem Biologiekurs saß. Yannik, der ebenfalls im Geschichtskurs war, setzte sich ungefragt zu Flora. Wollte er unter der Bank Händchen halten? Nur das nicht! Am Sonntagmorgen war Flora das Geknutsche vom Vorabend richtig peinlich gewesen – sie musste ja tierisch bedürftig gewirkt haben – und den Eindruck wollte sie nun wirklich nicht erwecken. Flora sah Yannik stumm an und bemerkte aus den Augenwinkeln, wie die Tuschelintensität der beiden

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