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Rachekuss

Rachekuss

Titel: Rachekuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Broemme
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legte es nach zwei Bissen fort. Schließlich riss sie in ihrem Zimmer die Bücher aus dem Regal, trampelte darauf herum, ging wieder duschen und räumte die Bücher voller Scham zurück. Sie war verrückt. Sie war eindeutig verrückt. Sie fiel ermattet auf ihr Bett, starrte in den blauen Herbsthimmel über ihrem Dachfenster und meinte, gleich zu zerplatzen. Da war ein Druck, wie sie ihn noch nie zuvor gespürt hatte. Was war nur geschehen? Immer wieder diese Frage. Sie hätte kotzen mögen, ihr war schon übel, weil sie diese Frage nicht aus ihrem Kopf bekam. In der Nacht schreckte sie alle paar Minuten hoch, ein Albtraum folgte dem anderen und alle waren ungreifbar wie Nebelschwaden. Sie schmeckte nur ein diffuses Gefühl der Angst auf der Zunge.
    Es musste schon Mittag sein, als sie endgültig aufwachte. Sie fühlte sich etwas besser als am Vortag, aber noch immer wackelig. Erst klingelte es an der Tür – vielleicht der Postbote –, sie reagierte nicht darauf. Und dann war da dieses andere Geräusch. Eine Autotür wurde zugeschoben. Nicht zugeschlagen. Es war ein sattes Ratschen, wie wenn die Tür eines Transporters mit viel Kraft zugeschoben wurde. Und da sah sie plötzlich diesen weißen Kastenwagen vor sich. Sie sah ihre Beine unter sich, die nicht liefen, sondern über den Boden geschleift wurden. Und sie sah diesen Kastenwagen. Hörte das »Ratsch« der Tür. Sie fuhr hoch in ihrem Bett. Woher kam diese Erinnerung? Mit einem Mal war sie sich ganz sicher: Sie war zu einem Transporter gebracht worden. War sie damit weggefahren worden? Erinnere dich! Los, denk nach!, befahl sie sich. Weißer Transporter. Das Ratschen der Tür. Der Geruch nach Schweiß. Und noch etwas. Etwas Süßliches. Mist, es entstand keine zusammenhängende Szene vor ihren Augen. Nur diese winzig kleinen Splitter: Transporter. Weiß. Schweiß. Ratsch. Und sie spürte, wie sie vor Angst zitterte.
    »Minha princesa«, riss sie plötzlich die Stimme ihres Vaters aus ihrem Gedankenlabyrinth. »Wir sind wieder da!« Sie sah auf und musterte ihren Papai, als sei er ein Fremder.
    »Was ist los?« Er war mit wenigen Sätzen an ihrem Bett und ließ sich neben ihr nieder. »Bist du krank?« Sie war so verwirrt, dass sie nicht gleich antworten konnte.
    »Du bist so blass – und was ist mit deinen Haaren passiert?« Flora betastete ihren Kopf, als wisse sie nicht, wovon er sprach. Sie sah ihn noch immer stumm an.
    »Flora, um Gottes willen, was ist denn los?« Ihre Mutter erschien im Türrahmen und ließ einen kurzen Schrei los.
    »Flora«, auch sie stürmte auf ihre Tochter zu und Flora hatte das Gefühl, eine riesige Welle würde sie gleich fortspülen, zermalmen. Sie hob abwehrend die Hände. Sie wollte nicht, dass ihr alle so nahe kamen. Was hatte sie mit diesen Menschen zu schaffen?
    »Schatz, bitte«, insistierte ihr Vater. »Sag uns endlich, was passiert ist. Vielleicht können wir dir helfen.«
    Sie schüttelte den Kopf und zog sich die Bettdecke bis unters Kinn.
    »Nichts«, stotterte sie tonlos. »Es ist gar nichts. Ich – wir haben gestern ein bisschen gefeiert.« Sie rieb sich die Schläfen. »Kopfschmerzen«, sagte sie und es war nicht einmal gelogen.
    »Aber was ist mit deinem Haar?« Die Stimme ihrer Mutter war deutlich zu laut.
    »Wollte mal was anderes«, murmelte Flora und sah sie flehend an. »Bitte, lasst mich einfach noch ein bisschen schlafen.«
    »Und der dicke Kratzer auf deiner Wange? Flora, das sieht alles nicht nach einem ›bisschen gefeiert‹ aus, ich bitte dich.« Ihr Vater war aufgestanden und lief unruhig im Zimmer auf und ab.
    »Geht raus!«, schrie Flora. Theo und Leticia gehorchten erschrocken.
    Als sie am Nachmittag ihr Zimmer verlassen, geduscht, frische Klamotten übergezogen und sich ein wenig geschminkt hatte, ging sie hinunter. Lucas kickte mit seinem Vater im Garten einen Fußball hin und her und Leticia fuhrwerkte in der Küche herum.
    »Besser?«, fragte Leticia behutsam und reichte Flora ein Glas mit frisch gepresstem Orangensaft. »Oder magst du lieber Kaffee mit Zitronensaft?« Sie versuchte ein versöhnliches Lächeln. Flora schüttelte den Kopf, trank aber den Orangensaft in einem Zug aus.
    »Wir verstehen schon, wenn du mal über die Stränge schlägst«, sagte Leticia. »Haben wir doch alle gemacht, als wir jung waren.« Sie grinste. Flora ging wortlos aus der Küche. Warum fühlte sie plötzlich so einen Hass?
    »Komm, spiel mit«, rief Theo ihr durch die offene Terrassentür zu. »Bisschen

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