Rachekuss
Flora. Ihr Gesicht hatte eine zartrosa Färbung angenommen und sie wirkte nicht mehr so niedergeschlagen wie vorhin. Sie hatte helle, fast sommerliche Klamotten an, die sie noch mädchenhafter als sonst wirken ließen. Irgendetwas hielt sie hinter ihrem Rücken.
»Welche Hand?«, fragte sie und Flora zuckte ratlos mit den Schultern.
»Die!«
Carina winkte ihr grinsend zu. Flora schaute sie irritiert an.
»Die.«
»Okay. Weil du’s bist! Und sozusagen als Beweis, dass ich dir Yannik von ganzem Herzen gönne!«
Carina fuchtelte grinsend vor Floras Nase mit einem kleinen schwarzen Päckchen herum, auf dem ein neongelbes Kondom abgebildet war. »Die leuchten im Dunkeln, sehr lustig! Und echt geil! Müsst ihr mal ausprobieren.«
»Äh, danke«, nickte Flora verlegen und steckte das Kondompäckchen in ihre Jackentasche.
15. Kapitel
Auszug aus dem psychiatrischen Gutachten, Prof. Dr. W. Metzler vom 02.12. d. J.:
»…worunter die Patientin besonders leidet, seien ihre unkontrollierbaren Wutausbrüche. Sie berichtet, dass sich ihre Reizbarkeit kurz vor dem Unfall massiv gesteigert habe. Sei sie bis dahin oft in der Lage gewesen, belastenden Situationen zu entfliehen und ihre Wut eher an sich selbst bzw. unbeobachtet herauszulassen, so sei es immer öfter zur offenen Konfrontation bzw. zu aggressiven Akten gegen andere Personen gekommen. Gleichzeitig sei sie in der Lage gewesen, ihre irrationalen Pläne klar und stringent durchzuführen…«
Flora war so froh gewesen, mit Carina offen geredet zu haben, dass sie anschließend ausgelassen und fast albern aufgelegt war. Den Rest des Nachmittags versuchten sie, in Floras rosa Prinzessinnenzimmer zu lernen, was nur mäßig gelang, weil sie immer wieder vom Rumblödeln ins Philosophieren über das Leben kamen und sich so gut wie schon lange nicht mehr unterhielten. Kurz bevor sie zum Training losfuhren, machten sie sich noch einen Salat.
Flora hoffte, mit Yannik eine Verabredung für nach dem Training ausmachen zu können. Sie wusste, dass er mit dem Volleyballspielen etwa eine halbe Stunde nach ihr fertig sein würde. Sie lief mit Carina durch die Gänge und hielt nach ihm Ausschau. Da fiel ihr ein, dass er ja seinem Trainer Manfred bei den Jüngeren assistierte, und sie spähte durch die massive Holztür in einen Teil der Dreifach-Turnhalle hinein. Carina ging auf die Toilette, während Flora amüsiert zusah, wie Yannik versuchte, den jungen Spielern die richtige Armhaltung beim Baggern beizubringen. Ihr fiel auf, wie einfühlsam und freundlich er mit den Jungs umging, und sie spürte einen leisen Stolz in sich aufsteigen, dass nun ausgerechnet er ihr Freund war. Eine tiefe Welle der Liebe durchfuhr sie und sie nahm nichts wahr in dem großen Raum als seine Bewegungen, sein Lachen, seine Konzentration. Sie zuckte zusammen, als Carina sie am Ärmel zupfte.
»Weißte, was mir gerade einfiel?«, flüsterte Carina. Flora schüttelte den Kopf.
»Willst du nicht Yannik die Kondome in die Sporttasche schmuggeln – vielleicht noch mit einem vielversprechenden Spruch drauf. Wäre doch eine nette Überraschung für ihn.«
Flora grinste. »Ist das nicht ein bisschen pubertär?«
»Na ja«, Carina lachte. »Jungs sind doch auch ziemlich pubertär.« Flora schnitt eine Grimasse. Dann fingerte sie die Packung, die noch in ihrer Jackentasche steckte, heraus und Carina konnte ihr mit einem Stift aushelfen.
»Was soll ich denn schreiben?«, überlegte Flora und fuhr sich über den Flaum auf ihrem Kopf. Eine neue Angewohnheit.
»Schreib doch einfach: ›Freu mich, ihn gleich zum Leuchten zu bringen‹, oder so was.« Flora sah Carina zweifelnd an, aber schließlich schrieb sie es doch auf die Schachtel. Dann schlichen sie sich wie zwei Diebe zu Yanniks Umkleidekabine und Flora ging hinein.
»Ich steh Schmiere«, schmunzelte Carina und wartete vor der Tür.
Flora fand Yanniks quietschorange Sporttasche auf Anhieb. Sie war mit Ansteckern und Aufklebern von Bands, Fußballmannschaften und Sponti-Sprüchen übersät und gab nicht unbedingt ein ganz einheitliches Bild von seinem Besitzer ab. Mit schnellen Fingern öffnete Flora die Tasche und wollte die Packung Kondome einfach hineinfallen lassen. Oder sollte sie sie so legen, dass er sie gleich sah? Da kam ihr eine gute Idee: Sie würde sie zwischen sein Duschhandtuch packen, dann fielen sie heraus, wenn er es aus der Tasche zog. Nicht dass er sie noch übersah. Und wenn seine Freunde das mitbekommen würden? Na ja, das Risiko
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