Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
Brigits Augen. »Jetzt pass mal auf«, sagte sie mit zusammengepressten Zähnen und schlenderte zur Gegensprechanlage. Sie nahm den Hörer und atmete tief ein. Und so laut, wie ich sie noch nie habe brüllen hören, schrie sie: »VERPISS DICH!«
Dann drehte sie sich um und schüttete sich aus vor Lachen. »Das wird er wohl verstanden haben, der Oberarsch.«
»Darf ich auch mal?«, fragte ich.
»Bitte, gern doch.« Sie bog sich vor Lachen.
»Ahem.« Ich räusperte mich. »Also gut, los geht’s. VERPISS DICH!«
Dann fielen wir uns gegenseitig in die Arme und schrien vor Lachen.
Es läutete wieder, lang und schrill, sodass es uns einen Moment lang die Sprache verschlug.
»Wir beachten es gar nicht«, schnaufte ich.
»Das kann ich nicht«, sagte sie atemlos. Dann prusteten wir wieder los.
Sie musste sich erst beruhigen, bis sie den Hörer nehmen und wieder sprechen konnte. Dann sagte sie: »Komm hoch, du fettes, haariges Schwein, du« und drückte auf den Türöffner.
Er stieg aus dem Lift, misstrauisch und verärgert. Und das war sein gutes Recht.
Denn es war Daryl, nicht Carlos. Daryl! Träume werden also doch wahr!
Es war nahezu unfassbar, dass er gerade über unsere Schwelle getreten war. Um ehrlich zu sein, ich hatte ihn schon für immer und ewig aufgegeben. Er musste meine Telefonnummer verloren haben, schloss ich, und die Adresse von der Party her noch im Kopf gehabt haben. Ich war so froh, dass ich beinahe zu zittern anfing.
Jetzt, wo sich alles zum Guten wendete, schienen meine Ängste ziemlich albern.
»Hallo, Rebecca«, sagte er unbestimmt.
»Rachel«, verbesserte ich ihn verlegen.
»Nein, Daryl«, sagte er. »Ich heiße Daryl.«
Er kam mir nicht so attraktiv vor wie an dem Samstag der Party aber das war mir gleichgültig. Er trug tolle Sachen und kannte Jay McInerney und mein Herz war für ihn frei.
»Hör zu, Rebecca«, sagte er, ohne mich richtig anzusehen. »Ich bin so ...«
»Entschuldige bitte«, zwang ich mich zu sagen. »Aber ich heiße Rachel.«
Dann hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich befürchtete, er könnte sich kritisiert fühlen.
»Aber ist ja auch egal«, fügte ich hinzu.
Fast hätte ich noch gesagt: »Nenn mich ruhig Rebecca, wenn du willst.«
»Wieso habt ihr zwei gesagt, ich soll mich verpissen?«, fragte er und schniefte tief, was seinen unruhigen, nebulösen Blick erklärte.
Brigit war vor Enttäuschung und Kummer stumm, also musste ich die Antworten geben.
»Wir dachten, du seist jemand anders ...«
Es klingelte wieder, und Brigits Lebensgeister kehrten unverzüglich zurück. Sie rannte zur Tür, nahm den Hörer der Gegensprechanlage in die Hand und kreischte los, doch von ihrer Schimpfkanonade war nur jedes zehnte Wort verständlich: »Drecksau Spät Wichser Bessereszutun Arschloch Mistbolzen Scherdichzum Teufel.«
Zum Abschluss sagte sie: »Komm hoch, du Arsch«, und drückte auf den Türöffner.
Dann erst schien sie Daryl zu erkennen. »MAMA MIA«, sagte sie dunkel und lachte irgendwie merkwürdig. »MAMA MIA. MAMA MAMA MIA. Haha.«
Ich hätte ihr nicht erzählen dürfen, was zwischen mir und Daryl vorgefallen war. Jetzt, da sie den Verstand verloren hatte, konnte Wissen dieser Art gefährlich werden.
Sie steckte sich den Daumen in den Mund und kam mit dem Gesicht ganz nah – zu nah – an Daryls und sagte dann wieder: »Mama.« Und wieder lachte sie ihr finsteres Lachen und ging zur Tür. Damit sie gleich auf Carlos eindreschen konnte, wenn er hereinkam.
Und als Luke ahnungslos in der Tür stand, zwei Familienpackungen Eis unterm Arm, sah sie aus, als würde sie gleich tot umfallen.
»Na, wie geht’s, Brigit«, sagte er und erfasste die Situation. »Die Hitze bekommt dir wohl nicht, was?«
Sie sah ihn aus toten, blicklosen Augen an. »Luke«, brachte sie hervor. »Hast du gerade geklingelt ... ?«
»Allerdings«, sagte er. »Was ist los? Hat dich der Kubaner wieder sitzenlassen?«
Sie nickte stumm.
»Könntest du ihn nicht einfach vergessen und dich stattdessen mit einem netten irischen Jungen zusammentun?« schlug er vor.
Sie sah ihn an, ihr Blick war leer.
»Würde eine Portion Eis helfen?«, fragte er freundlich.
Dieser Mann kennt sich mit Frauen aus, dachte ich, obwohl ich selbst auch unter Schock stand, weil er ganz überraschend auftauchte. Besonders, weil er überraschend auftauchte, während Daryl zugegen war.
Brigit nickte steif und streckte die Hände aus. Als Luke ihr eine der zwei Packungen hinhielt, zögerte sie einen
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