Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Titel: Rachel im Wunderland: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
Vom Netzwerk:
Oberschenkel, rutschte darauf herum und sagte mit unmissverständlicher Zweideutigkeit: »Lass mich mal ran«, und: »Komm schon, gib ihn mir.« Mike wurde aschfahl und schlurfte zu dem schlechtesten Stuhl, dessen Federn sich in die Schenkel bohren würden, bis Blut floss, wenn es eine lange Sitzung war.
    Josephines Eröffnung war: »Rachel, Sie haben wir in der letzten Woche ein bisschen vernachlässigt, stimmt’s?«
    Meine Eingeweide verflüssigten sich.
    Die Zeit des Fragebogens war gekommen. Wie hatte ich nur denken können, dass ich verschont würde? Geschieht mir ganz recht, warum musste ich auch mit Chaquie rumalbern. Mein Übermut hatte das Schicksal auf den Plan gerufen.
    »Stimmt’s?«, fragte Josephine noch einmal.
    »Es macht mir nichts aus«, murmelte ich.
    »Ich weiß, dass es Ihnen nichts ausmacht«, sagte Josephine aufgeräumt. »Und genau deshalb stellen wir Sie jetzt in den Mittelpunkt.«
    Das Herz klopfte mir bis zum Hals, und ein hilfloser Zorn tobte in mir. Ich wollte alle Stühle über den Haufen rennen und Josephine mit ihrem glatten Lächeln eine runterhauen, wollte aus dem Haus laufen, bis nach New York, und Luke umbringen.
    Es gab mir einen solchen Stich, dass ich hier war und diese Erniedrigung und diesen Schmerz erdulden musste.
    Josephine raschelte mit ein paar Blättern Papier, und ich starrte in stummem Zorn vor mich hin. Bitte nicht, bitte, bitte nicht.
    »Ich möchte, dass Sie Ihre Lebensgeschichte aufschreiben«, sagte sie und hielt mir ein Blatt entgegen. »Hier sind die Fragen, an die Sie sich beim Schreiben halten können.«
    Es dauerte einen Moment, bis mir klar wurde, dass ich gerettet war und dass sie Lukes hinterhältige Aussagen nicht vorlesen würde. Sie wollte lediglich, dass ich meine dumme Lebensgeschichte aufschrieb. Kein Problem!
    »Sie brauchen nicht so ängstlich zu gucken«, sagte sie mit einem wissenden Lächeln.
    Ich lächelte schwach zurück.
    Mit zitternden Händen nahm ich das Blatt und las es verstohlen. Es war nur eine Liste von Fragen, die mir beim Schreiben als Richtlinie dienen sollte: »Was ist Ihre früheste Erinnerung?«, »Wen mochten Sie am liebsten, als Sie drei Jahre alt waren?«, »Woran erinnern Sie sich, als Sie fünf Jahre alt waren?«, »Zehn?«, »Fünfzehn?«, »Zwanzig?«.
    Ich dachte, das Verfassen der Lebensgeschichte würde sich als schwierige, höchst kreative Aufgabe gestalten, bei der ich verschollene Erinnerungen aus meinem bisherigen Leben ans Licht holen musste. Stattdessen war es nicht schwieriger, als ein Formular für eine Versicherung auszufüllen. Gut.
    Die Sitzung drehte sich um Clarence, der schon sechs Wochen da war und bald entlassen werden würde.
    »Sie wissen ja«, sagte Josephine zu ihm, »wenn Sie ohne Alkohol auskommen wollen, müssen Sie, wenn Sie wieder draußen sind, Ihr Leben ändern.«
    »Ich habe es ja schon geändert«, sagte Clarence aufgeregt. »Ich weiß jetzt Dinge über mich, die ich in meinen ganzen fünfzig Jahren nicht begriffen hatte. Ich hatte den Mut, mir anzuhören, was meine Familie über meine Trinkgewohnheiten berichtet hat. Und ich habe erkannt, dass ich egoistisch und verantwortungslos war.«
    Es war merkwürdig, jemanden wie Clarence, der ein komischer Kauz war, so verständig und einsichtig reden zu hören.
    »Das halte ich Ihnen zugute, Clarence«, sagte Josphine mit einem Lächeln, das diesmal nicht ironisch war. »Sie haben viel erreicht. Aber ich spreche hier von den praktischen Veränderungen, die Sie vornehmen müssen.«
    »Aber ich habe kaum ans Trinken gedacht, seit ich hier bin«, beharrte Clarence. »Nur wenn es mir dreckig ging.«
    »Eben«, sagte Josephine. »Und draußen wird es Ihnen auch manchmal dreckig gehen, weil das Leben so ist. Und da werden Sie Zugang zu Alkohol haben. Was würden Sie vorschlagen?« Damit wandte sie sich an uns alle.
    »Wie wär’s mit Psychotherapie?«, schlug Vincent vor. »In den zwei Monaten, die wir hier sind, lernen wir doch bestimmt nicht genug über uns, dass es für das ganze Leben reicht, oder?«
    »Da haben Sie recht«, sagte Josephine erfreut. »Gut beobachtet. Jeder von Ihnen muss seine Lebensgewohnheiten von Grund auf ändern, wenn Sie wieder in die Welt da draußen gehen. Eine Begleitung durch Psychotherapie, sei es in der Gruppe oder einzeln, ist sehr wichtig.«
    »Man muss sich von Kneipen fernhalten«, rief Misty erregt. »Und von den Leuten, mit denen man früher getrunken hat, weil man mit denen nichts mehr gemeinsam hat. So bin ich

Weitere Kostenlose Bücher