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Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Titel: Rachel im Wunderland: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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ins Schlingern geraten.«
    »Nehmen Sie das, was Misty sagt, ernst«, sagte Josephine. »Es sei denn, Sie wollen innerhalb von sechs Monaten wieder hier sein.«
    »Vielleicht sollte man zu den AA-Treffen gehen«, schlug Mike vor.
    »Danke, Mike.« Josephine legte den Kopf auf die Seite. »Sie werden feststellen, dass die AA- oder NA-Gruppen eine große Hilfe sind, wenn Sie wieder draußen sind.«
    »Man könnte sich neue Hobbys zulegen«, regte Chaquie an, »um die Zeit auszufüllen.«
    Mir gefiel diese Sitzung. Es war aufregend, einem Menschen dabei zu helfen, sein neues Leben zu planen.
    »Danke, Chaquie«, sagte Josephine. »Überlegen Sie mal, was Sie gern tun möchten, Clarence.«
    »Na ja ...«, sagte er verlegen. »Ich wollte schon immer ...«
    »Sprechen Sie ruhig weiter.«
    »Ich wollte schon immer ... Autofahren lernen. Ich habe mir schon oft vorgenommen, damit anzufangen, aber dann hat es doch nicht geklappt, denn immer, wenn es darauf ankam, wollte ich lieber in die Kneipe gehen und trinken.« Clarence schien selbst überrascht über das, was er gerade gesagt hatte.
    »Das ist«, sagte Josephine mit glänzenden Augen, »das ist die größte Einsicht, die Sie bisher, in all den Wochen hier, geäußert haben. Sie haben einen wichtigen Aspekt im Leben eines Süchtigen erkannt. Seine Sucht zu nähren, ist für ihn so wichtig, dass er für nichts anderes ein richtiges Interesse aufbringt.«
    Gerade wollte ich mir auf die Schulter klopfen, weil ich massenhaft Interessen hatte – Partys, Ausgehen, Kleider, Spaß haben –, als Josephine sagte: »Und ich möchte Ihnen allen ins Gedächtnis zurückrufen, dass Feiern, Kneipenbesuche, Nachtclubs und Partys keine Interessen im eigentlichen Sinne sind, sondern lediglich dazu dienen, Ihre jeweilige Sucht zu nähren.«
    Während sie sprach, sah sie mich mit wachen, blauen Augen freundlich an. Ich hasste sie, wie ich noch nie jemanden gehasst hatte. Und ich hatte schon viele gehasst, dass kann man mir glauben.
    »Stimmt was nicht, Rachel?«, fragte sie.
    »Ich verstehe«, brach es aus mir heraus, »wenn man auf eine Party geht, bedeutet das, dass man süchtig ist.«
    »Das habe ich nicht gesagt.«
    »Und ob, Sie haben gesagt, dass ...«
    »Rachel«, sagte sie mit plötzlich ganz fester Stimme, »für einen normalen Menschen ist eine Party nicht mehr als eine Party. Aber für einen Süchtigen ist es eine Gelegenheit, an die Droge seiner Wahl heranzukommen, ob es nun Alkohol oder Kokain ist. Aber es ist interessant, dass Sie mich so verstanden haben ...«
    »Und ich hasse dieses Wort«, platzte ich heraus.
    »Welches Wort?«
    »Normal. Wenn man süchtig ist, ist man also unnormal, oder wie?«
    »Ja, Ihre Reaktionen auf gewöhnliche Lebenssituationen sind unnormal. Ein Süchtiger greift zur Droge, um mit dem Leben, ob das nun gut oder schlecht ist, klarzukommen.«
    »Aber ich will nicht unnormal sein«, sagte ich und konnte mich nicht zurückhalten. Was zum Teufel ...? dachte ich überrascht. Das hatte ich nicht sagen wollen.
    »Keiner will unnormal sein«, sagte Josephine und sah mich liebevoll an. »Deswegen leugnet ein Süchtiger mit aller Macht. Aber hier, in Cloisters, lernen Sie neue Reaktionen, normale.«
    Schockiert und verwirrt wollte ich darauf antworten und etwas klarstellen, aber sie war schon woanders.
    In logischer Hinsicht wusste ich, dass sie eine dumme Kuh war und dass nichts daran auszusetzen war, ein aktives Leben mit Freunden zu führen, aber in emotionaler Hinsicht fühlte ich mich angegriffen. Ich war völlig erschöpft. Ständig schien ich etwas erklären zu müssen und mich dafür zu entschuldigen, dass ich so war, wie ich war, und mein Leben auf meine Weise lebte.
    Bisher hatte ich immer die Verhaltenskritik in Cloisters, soweit sie auf mich zuzutreffen schien, weit von mir gewiesen, aber an dem Tag hatte ich nicht die Kraft dazu. Pass auf, sagte ich warnend und in düsterer Vorahnung zu mir selbst, lass sie nicht an dich heran, sie warten nur darauf, und dann machen sie dich klein.

    Als ich an dem Abend im Speisesaal saß, um meine Lebensgeschichte aufzuschreiben, hatte ich ein ganz eigenartiges Gefühl. Ich fühlte mich zu Hause, als gehörte ich hierher. Wie ich es wagen konnte, mich fast wohlzufühlen, werde ich nie wissen. Mit Luke, der mich weggeschickt und gedemütigt hatte, auf der einen Seite und dem Schreckgespenst des Fragebogens auf der anderen sah die Zukunft ziemlich finster aus. Aber so wie manche Menschen glücklich und erfüllt am

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