Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
...«
»Kannst du mir ein Glas Wasser holen?«, fragte ich. Zwei, also wirklich. Eher zehn!
Während er in der Küche war, stopfte ich mir eine Handvoll Tabletten in den Mund. Als er zurückkam, ließ ich mir zwei von ihm geben, mit dem Wasser.
»Mampe«, murmelte ich und konnte kaum sprechen, so voll war mein Mund. Aber ich wusste, dass ich ihn überlistet hatte.
35
N atürlich konnte ich am nächsten Tag nicht zur Arbeit gehen. Ohne Schuldgefühle, weil ich diesmal wirklich krank war, nahm ich noch einmal eine Handvoll Pillen und machte es mir gemütlich, um meinen freien Tag zu genießen.
Und es war ein guter Tag.
Die Schmerztabletten und die Feuchtigkeit verursachten mir ein angenehmes Schwebegefühl, und ich sah mir alle Vormittagsserien an, dann alle Nachmittagsserien und die Oprah-Winfrey-Talkshow. Ich futterte mich durch eine Familienpackung Eis und eine Riesentüte Tortilla- chips, dann war es Zeit für ein Nickerchen.
Als Brigit nach Hause kam, lag ich in einer Jogginghose und einem Bustier auf der Couch und aß Zimtcornflakes aus der Packung. Denn jeder weiß, dass Cornflakes keine Kalorien haben, wenn man sie direkt aus der Packung isst, genauso wie Schokoladenriegel und alles andere, was man im Stehen verzehrt.
»Bist du wieder nicht zur Arbeit gegangen?«, war das Erste, was sie sagte.
»Ich war krank«, sagte ich abwehrend.
»O Mann, Rachel«, sagte sie.
»Diesmal war ich wirklich krank.« Das ärgerte mich. Wer braucht noch eine Mutter, wenn er Brigit hat?
»Die schmeißen dich raus, wenn du so weitermachst.«
Weiß der Himmel, wieso sie sauer auf mich war. Wie oft hatte ich schon für sie angerufen und sie krankgemeldet.
Außerdem war es zu heiß, um zu streiten.
»Ach, hör doch auf«, sagte ich und wand mich. »Erzähl mir lieber, wie es dir gestern abend mit Unserem Mann in Havanna ergangen ist.«
»Madre de Dios!«, rief sie aus. An mehr konnte sie sich aus ihren Spanischstunden nicht erinnern, die sie genommen hatte, um das Herz des ungerechten Carlos zu erobern. »Dramatische Entwicklungen! Mach den Fernseher aus und den Ventilator an, dann erzähle ich es dir.«
»Der Ventilator ist an.«
»O Mann, dabei ist es erst Juni.« Sie seufzte. »Also, hör zu.«
Ihre Miene verdunkelte sich im Zorn, als sie erzählte, wie sie zur Z-Bar gelaufen war, Carlos aber nicht mehr da war. Also ging sie zu seiner Wohnung, doch Miguel stand in der Tür und wollte sie nicht hereinlassen. Sie konnte sich aber doch Zutritt verschaffen, und als sie im Flur war, sah sie eine kleine Latina, kaum ein Meter zwanzig groß, mit blitzenden braunen Augen und einem Tritt-mir-nicht-zu-nahe-sonst-kommen-meine-Brüder-mit-dem-Schnapp- messer-Blick.
»In dem Moment wusste ich – du weißt, was ich meine, Rachel –, da wusste ich einfach, dass sie mit Carlos zu tun hatte.«
»Weibliche Intuition«, murmelte ich. Aber vielleicht hätte ich auch ›weibliche Neurose‹ sagen sollen.
»Und?«, fragte ich. »Hatte sie mit Carlos zu tun?«
»Sie war seine neue Freundin. Das behauptete sie wenigstens. Sie ließ mich rein und schrie Carlos auf Spanisch an. Und dann sagte sie zu mir: ›Bleib doch bei deinen eigenen Leuten.‹«
»Bleib bei deinen eigenen Leuten?« Das warf mich um. »Wie in der West Side Story?«
»Genau«, sagte Brigit, und ihr Gesicht war wutverzerrt. »Und ich will nicht bei meinen eigenen Leuten bleiben. Irische Männer sind das Letzte. Und dann – das war ja wohl der Gipfel –, dann hat sie mich eine Gringa genannt. Genau das hat sie gesagt: ›Du bist eine Gringa.‹ Und Carlos hat zugesehen, als hätte ihn der Verstand verlassen! Dieser HUND!«, schrie sie und warf mein Deospray quer durch das Zimmer an die Wand. »Dieser gemeine, widerliche alte Bock! Ich bitte dich. Gringa, was für eine unverschämte Beleidigung.«
»Moment mal«, sagte ich. »Gringa ist doch keine Beleidigung.«
»Ach so«, sagte Brigit erregt. »Es ist also keine Beleidigung, wenn man als Prostituierte beschimpft wird. Na, schönen Dank, Räch...«
»Gringa bedeutet nicht Prostituierte«, sagte ich laut. Man musste laut sprechen, wollte man Brigit etwas verständlich machen, wenn sie in dieser Stimmung war. »Es heißt einfach nur Weiße.«
Darauf folgte ein überraschtes Schweigen.
»Und wie heißt das kubanische Wort für Prostituierte?«
»Das weiß ich doch nicht, du bist doch diejenige, die Spanisch gelernt hat.«
»Ach so.« Brigit wirkte betreten. »Ich dachte schon, dass sie ein bisschen verwirrt
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