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Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Titel: Rachel im Wunderland: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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ihres intensiven Kreuzverhörs wollte er nichts zugeben.
    Nach dem Mittagessen hatte ich wieder Glück, denn diesmal war Misty dran. Ein doppelter Segen. Wenn ihr etwas Schlechtes widerfuhr, munterte mich das ausgesprochen auf. Und solange sie in die Mangel genommen wurde, blieb ich verschont.
    Mir wurde klar, dass ich noch einmal glimpflich davongekommen war, denn ich war mir sicher, dass Josephine so kurz vor Ende meines Aufenthalts nicht mehr mit meinem Fragebogen anfangen würde. Abgesehen von der einen Sitzung, als sie mich über meine Kindheit ausgefragt hatte, war es mir nicht besonders schlecht ergangen. Und nur noch fünf Tage, bevor ich abreisen würde. Fünf Tage, um mich davon zu überzeugen, dass ich ein Drogenproblem hatte? Na, da standen ihre Chancen aber schlecht.
    So konnte ich genüsslich zusehen, wie Misty das Leben zur Hölle gemacht wurde.
    Und zur Hölle machte Josephine es ihr ganz gewiss. Josephine argwöhnte, dass Mistys Rückfall ein Werbegag sei.
    Was Misty weit von sich wies.
    »Das ist nicht eine Kampagne für mein neues Buch Tears Before Bedtime«, beharrte sie. »Ich bin nicht hier, um für mein neues Buch Tears Before Bedtime Werbung zu machen.«
    Sie sah zerbrechlich und zierlich und wunderschön aus. »Wirklich nicht«, wiederholte sie mit großen Augen, die um Verständnis heischten.
    Es war zum Kotzen, aber die anderen schwiegen beschämt.
    Arschkriecher, dachte ich und war wütend, weil sie nicht schnallten, dass sie ihr auf den Leim gingen.
    »Sie täuschen sich ganz und gar«, sagte sie, und ihre Unterlippe bebte ein kleines bisschen.
    Mehr beschämtes Schweigen. Josephine sah sie mit zusammengekniffenen Augen an.
    »Um ehrlich zu sein, ich sammle Material für mein nächstes Buch«, fügte Misty hinzu, als wäre ihr das eben erst eingefallen.
    Es herrschte überraschte Stille, bevor ein Haufen Fragen auf sie einstürzten.
    »Komm ich drin vor?«, fragte John Joe aufgeregt.
    »Und ich?«, fragte Chaquie. »Aber nicht mit meinem richtigen Namen, oder?«
    »Meiner soll auch nicht genannt werden«, sagte Neil besorgt.
    »Und ich bin der Held, ja?«, lärmte Mike. »Der die Schöne bekommt.«
    »Und was ist mit mir?«, fragte Clarence.
    »AUFHÖREN!«, brüllte Josephine.
    Gut gemacht, dachte ich zufrieden. Gib ihr Saures. Ich überlegte, ob ich Chris davon erzählen konnte. Eigentlich sollte er erfahren, was für eine oberflächliche kleine Zicke sie war. Obwohl, dachte ich, vielleicht galt Chris’ Interesse nicht in erster Linie Mistys Charakterstärke.
    »Sie sind zum zweiten Mal in dieser Klinik«, ereiferte sich Josephine. »Wann nehmen Sie das endlich ernst? Schließlich sind Sie Alkoholikerin!«
    »Natürlich bin ich das«, erklärte Misty in aller Ruhe. »Ich bin Schriftstellerin!«
    »Für wen halten Sie sich eigentlich?«, empörte sich josephine. »Für Ernest Hemingway?«
    Ich grinste schadenfroh. Das gefiel mir.
    Dann warf Josephine Misty ihre Flirterei vor.
    »Sie provozieren die Männer hier mit voller Absicht. Ich wüsste gern, warum.«
    Misty ging darauf nicht ein, und Josephine wurde immer gemeiner.
    Der Nachmittag war von Anfang bis Ende ein einziges Vergnügen. Doch am Schluss, als ich schon fast auf dem Weg zur großen Teeparty war, hielt Josephine mich am Ärmel fest. Im Nu war meine entspannte, gute Laune verflogen, und ich war gelähmt vor Schreck.
    Bitte nicht, schrie ich lautlos. Bitte nicht! Morgen kommt der Fragebogen dran. Wie konnte ich nur denken, dass ich verschont bleiben würde?
    »Morgen«, sagte sie. »Ich finde es fairer, Sie vorzuwarnen ...«
    Ich war den Tränen nahe.
    »Damit Sie ein bisschen Zeit haben, sich an die Vorstellung zu gewöhnen ...«
    Der Gedanke an Selbstmord schoss mir in den Kopf wie im Frühling der Saft in die dürren Stämme.
    »... Ihre Eltern kommen als Ihre WBB.«
    Ich brauchte einen Moment, um das zu begreifen. Ich war so sehr auf Luke und die schlimmen Sachen, die er von mir behaupten würde, gefasst, dass ich erst einmal gar nicht wusste, was sie mit Eltern meinte.
    Eltern? Habe ich Eltern? Was haben die denn mit Luke zu tun?
    »Ah, gut«, sagte ich zu Josephine. Ich ging in den Speisesaal und ließ das, was Josephine da gesagt hatte, sich in mir setzen.
    Also gut, dachte ich, und die Gedanken sprangen mir wild im Kopf herum, die Situation war nicht so schlimm, wie sie hätte sein können, weil sie nicht viel über mich wussten. Trotzdem hatte ich Angst. Ich musste sie anrufen und herausbekommen, was sie sagen

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