Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
Gelegenheit dazu. Ist ja auch egal, du hattest eine Lebensmittelvergiftung und bist jetzt dünn wie ein Skelett. So dünn, dass die Leute zu dir sagen: ›Brigit, du bist so dünn geworden, du solltest wirklich wieder zunehmen, du siehst aus wie jemand aus Biafra.‹«
»Klasse.« Brigit trommelte begeistert mit ihren Fersen auf die Bettdecke.
»Ja, die Leute reden über dich, und du hörst, wie sie sagen: ›Sie sieht so abgemagert aus.‹ Wir gehen also zu dieser Party, und du hast Carlos schon seit Ewigkeiten nicht gesehen, aber er ist da ...«
»Nein«, fuhr sie dazwischen, »nicht Carlos.«
»Warum nicht?«, sagte ich überrascht.
»Weil es mit ihm vorbei ist.«
»Wirklich?« Das erstaunte mich noch mehr. »Ich wusste gar nicht, dass du einen anderen kennengelernt hast.«
»Habe ich gar nicht.«
»Aber wie kann es dann vorbei sein?«
»Ich weiß auch nicht, ist es aber.«
»Du machst mir Angst, Brigit.« Ich sah sie an, als hätte ich sie noch nie zuvor gesehen. »Du weißt, was Claire immer sagt? ›Wenn man einen Mann hinter sich lassen will, muss man einen neuen auf sich drauflassen.‹ Aber du hast mit keinem anderen geschlafen, das hätte ich gemerkt.«
»Trotzdem, es ist vorbei. Freut dich das nicht?«, fragte sie. »Freust du dich nicht, dass ich nicht mehr am Boden zerstört bin?«
»Ja, natürlich, klar. Ich bin einfach nur überrascht, mehr nicht.«
Aber ich war nicht froh. Ich war beunruhigt und verstört. Und verwirrt.
Erst ihre Beförderung, und jetzt das hier.
Brigit und ich waren uns immer so ähnlich gewesen. Einmal abgesehen von unserer Einstellung zum Beruf – Brigit hatte eine und ich nicht – waren unsere Reaktionen auf die Dinge, die das Leben mit sich brachte, fast immer gleich. Sonst unterschieden wir uns noch in unserem Geschmack bei Männern, und das war möglicherweise mit ein Grund, warum unsere Freundschaft so lange gehalten hatte. Noch nie hatten wir einen Zusammenprall erlebt, wo eine sagte: »Finger weg, ich habe ihn zuerst gesehen!«, was eine Freundschaft, die in der Grundschule angefangen hatte, aufs Spiel gesetzt hätte.
Aber in letzter Zeit war sie so komisch geworden. Ich konnte nicht verstehen, wie sie plötzlich, einfach so, kein Interesse mehr an Carlos haben konnte. Bei mir lief das nie so ab, es war immer eine Kombination von Ereignissen. Ich brauchte einen neuen Mann, der mich unglücklich machte, bevor ich den Mann davor und das Unglück, das er mir gebracht hatte, überwinden konnte.
Wenn ich zurückgewiesen wurde, reagierte ich darauf, indem ich sofort anderswo nach Rückversicherung suchte. Normalerweise, indem ich mit einem anderen Mann schlief. Oder es wenigstens darauf anlegte, es klappte natürlich nicht immer.
Ich hatte immer die Frauen beneidet, die so was sagten wie: »Nachdem Alex mich verlassen hatte, habe ich mich einfach zurückgezogen. Ein Jahr lang habe ich keinen anderen Mann angesehen.«
Zugern hätte ich einmal keine Gefühle gehabt. Denn die Männer waren wild auf einen, wenn man keine Gefühle für sie zeigte.
Und nun schien Brigit sich in eine von diesen geheimnisvollen, bedürfnislosen Frauen zu verwandeln.
Wie konnte sie es wagen, mit Carlos fertig zu sein, ohne einen anderen Mann kennengelernt zu haben?
»Geh mal an den Kühlschrank«, sagte sie und stieß mich mit dem Fuß an. »Geh mal an den Kühlschrank und bring mir was Kaltes.«
»Seit wann wohnt denn Helenka in unserem Kühlschrank?« , witzelte ich, und wir beide lachten matt.
»Ich kann nicht, Brigit«, entschuldigte ich mich. »Ich habe keine Kraft. Ich breche zusammen.«
»Du faules, nutzloses Luder«, schimpfte sie. »Du hättest reichlich Energie, wenn Luke Costello in seinem Siebziger-Jahre-Aufzug hereinspaziert käme und mit seinem Piepmatz in der Hand nach ein bisschen Beschäftigung suchte.«
Ich wünschte, sie hätte das nicht gesagt, weil das Verlangen nach ihm mich durchströmte und mich unruhig und fickerig machte. Es dauerte noch ewig, bis ich ihn sehen würde, und plötzlich kam mir alles andere sinnlos und langweilig vor.
»Willst du auch was?«, fragte Brigit und schwang sich vom Bett.
»Ein Bier wäre nicht schlecht«, schlug ich vor.
»Ist keins mehr da«, rief sie einen Moment später aus der Küche. Der Ton ihrer Stimme verriet eine gewisse Gereiztheit.
Nicht schon wieder, dachte ich entnervt. In letzter Zeit war sie so launisch. Was war nur mit ihr los?
Ein guter Fick, das war’s, was sie brauchte. Das brauchten wir alle.
Weitere Kostenlose Bücher