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Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Titel: Rachel im Wunderland: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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meinst«, sagte sie in einem Ton, der allen anderen klarmachte, dass sie ihrem armen Mann in seiner irrigen Annahme nicht widersprechen wollte.
    Josephine sah Mum an, dann mich, dann wieder Mum und lächelte geheimnisvoll.
    Mum wurde rot. Sie hatte den Verdacht, dass Josephine über sie lachte, und vielleicht tat sie das auch, wer weiß.
    »Soweit ich mich erinnern kann«, sagte Dad und warf Mum einen komischen Blick zu, »warst du nicht besser und nicht schlechter als deine Schwestern.«
    Mum brummelte etwas, das so klang wie: »Auf keinen Fall besser.«
    Mir wurde schlecht.
    »Hegen Sie einen Groll gegen Rachel, Mrs. Walsh?«, fragte Josephine.
    Ich schrak vor ihrer Unverfrorenheit zurück.
    Nach dem entsetzten Ausdruck in Mums Gesicht zu urteilen, ging es ihr ebenso. Dann fasste sie sich.
    »Keiner Mutter gefällt es, wenn sie in eine Klinik gebeten wird, weil ihre Tochter drogensüchtig ist«, sagte sie scheinheilig.
    »Ist das das Einzige, was Sie ihr vorwerfen?«
    »Ja, das Einzige.« Mum blickte finster.
    Josephine sah sie mit zweifelnder Miene an. Und Mum warf den Kopf zurück und zog die Mundwinkel nach unten.
    »Na also, Rachel.« Josephine lächelte mir zu. »Ich hoffe, Sie sehen jetzt, dass es keinen Grund für Sie gibt, sich Schuldgefühle zu machen.«
    Hatte Mum wirklich nur so viel geweint, weil ihr Vater gestorben war?, fragte ich mich zaghaft. War Dad wirklich nur zu einem Kurs gegangen?
    Warum sollten sie lügen? Das hatten sie doch nicht nötig.
    Josephine sah Mum und Dad an und sagte: »Erzählen Sie uns von Rachel, ganz allgemein.«
    Mum und Dad sahen sich fragend an.
    »Irgendwas«, sagte Josephine fröhlich. »Alles hilft uns, sie besser kennenzulernen. Erzählen Sie uns von ihren guten Seiten.«
    »Guten Seiten?« Mum und Dad waren verdutzt.
    »Ja«, ermutigte Josephine sie. »Zum Beispiel, ist sie intelligent?«
    »Oh, nein.« Dad lachte. »Claire ist die Intelligente. Sie hat Englisch studiert, wissen Sie.«
    »Und Margaret ist auch nicht dumm«, sagte Mum. »Sie hat zwar nicht studiert, aber ich bin mir sicher, dass sie eine gute Studentin gewesen wäre, wenn sie aufs College gegangen wäre.«
    »Das stimmt«, sagte Dad zu Mum. »Sie hat immer so eifrig gelernt, dass sie bestimmt einen Abschluss bekommen hätte, auch wenn sie nicht so intelligent ist wie Claire.«
    Mum nickte dazu. »Aber sie ist auch ohne Studium recht erfolgreich. Da, wo sie arbeitet, hat sie eine Menge Verantwortung, mehr, als manche Leute mit einem Studium ...«
    Josephine räusperte sich vernehmlich.
    »Rachel«, sagte sie und lächelte freundlich. »Wir sprechen über Rachel.«
    »Ach, stimmt ja.« Beide nickten.
    Josephine wartete schweigend, dann platzte Dad heraus: »Durchschnitt, Rachel ist Durchschnitt. Nicht dumm, aber auch nicht gerade eine Atomphysikerin.« Dann fügte er ein halbherziges »Hahaha« an.
    »Was sind dann ihre guten Seiten?« Josephine ließ nicht locker.
    Mum und Dad sahen sich an, sie waren verwirrt, zuckten die Achseln und schwiegen. Ich spürte, wie die anderen Insassen unruhig auf ihren Stühlen hin- und herrutschten, und ich schrumpfte in mich zusammen. Warum konnten meinen verdammten Eltern nicht etwas erfinden und mir die Schmach ersparen?
    »War sie bei Jungen beliebt?«, fragte Josephine.
    »Nein«, sagte Mum entschieden.
    »Sie scheinen sich sehr sicher zu sein.«
    »Es lag an ihrer Größe«, erklärte Mum. »Sie war zu groß für die Jungen in ihrem Alter. Ich vermute, sie hat einen Komplex wegen ihrer Größe.« Dann fügte sie hinzu: »Für große Mädchen ist es schwierig, einen Jungen zu finden.«
    Ich beobachtete, wie Josephine sehr auffällig erst meiner Mutter in die Augen sah, und dann meinem Vater, fünf Zentimeter tiefer. Mum bemerkte das gar nicht.
    »Aber man kann sagen, dass sie trotz ihrer Größe manchmal attraktiv aussehen kann«, sagte Mum wenig überzeugend. Sie glaubte kein Wort von dem, was sie da gesagt hatte. Dad auch nicht, denn er fuhr dazwischen und sagte: »Nein, Helen und Anna sind die Hübschen in der Familie.« Gut gelaunt ergänzte er: »Obwohl ...« Sag, ich bin auch hübsch, bat ich ihn lautlos. Sag, ich auch. »... die beiden sind richtige kleine Biester. Besonders Helen, sodass man sich manchmal wundert, warum sich überhaupt einer mit ihnen einlässt. Die können einem das Leben ganz schön schwermachen.«
    Er schien verständnisvolles Lachen zu erwarten, aber seine Worte ernteten nur kaltes Schweigen. Die anderen Insassen schauten auf ihre Füße,

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