Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
beide als meine WBB gekommen waren. Brigit hatte den Fragebogen nicht ausgefüllt, weil das, was sie zu sagen hatte, so wichtig war, dass ein persönlicher Besuch nötig war.
Mir war schlecht vor Angst.
»Brigit, ich verstehe, dass Sie sehr verstört sind«, sagte Josephine. »Wir werden also langsam vorgehen.« Es sah so aus, dass Brigit zum Aufwärmen dienen sollte und Luke den Hauptteil bestreiten würde.
Ich wappnete mich gegen ihre Anschuldigungen, vor Angst lief mir der Schweiß in Strömen herunter.
Ich fragte mich, ob Gefangene diese Gefühle hatten, wenn sie in einer schalldichten Zelle eingesperrt und einem Verhör unterzogen wurden. Wenn sie wussten, welche Schrecken ihnen bevorstanden, es aber nicht glauben konnten, dass es wirklich geschehen würde. Dass es ihnen geschehen würde. Nicht einem Freund. Oder einem Kollegen. Oder ihrem Bruder. Oder ihrer Tochter. Nein, ihnen.
»Kennen Sie Rachel schon lange?« Josephines Frage war an Brigit gerichtet.
»Seit wir zehn sind.« Brigits Blick flackerte nervös über mein Gesicht und war wieder weg.
»Können Sie uns etwas über Rachels Drogenkonsum berichten?«
»Ich versuche es.« Sie schluckte.
Es entstand ein schreckliches, niedergedrücktes Schweigen. Vielleicht fällt ihr ja nichts ein, betete ich inbrünstig.
Aber nein.
Brigit sprach.
»Wir hatten seit langem versucht, sie zum Aufhören zu bewegen.« Ihr Blick war auf den Schoß gesenkt, das Haar fiel ihr über das Gesicht. »Alle hatten es versucht. Alle wussten, dass sie Probleme hatte ...«
Ich stand unter solcher Anspannung, dass ich fast vibrierte. Ich höre gar nicht zu, sagte ich immer wieder zu mir selbst, wie ein Mantra, ich höre gar nicht zu. Aber Schnipsel ihrer heftigen Anschuldigungen drangen in mein Gehör, obwohl ich mich sehr bemühte, alles auszublenden.
»... sehr aggressiv, wenn wir mit ihr reden wollten ... es wurde immer schlimmer ... nahm Drogen auch allein ... stahl von anderen ... bevor sie zur Arbeit ging ... hatte nie genug ... ist gefeuert worden ... hat immer gelogen, nicht nur über Drogen, auch sonst ...«
Und so ging es immer weiter. Mir blieb der Mund offenstehen angesichts ihrer Gemeinheit. Verstohlen warfich einen Blick auf Luke in der Hoffnung, dass er sie mit offenem Mund empört und wütend anstarren würde.
Aber ich sah mit Entsetzen, dass er zustimmend nickte.
»... unglaublich egoistisch ... sehr besorgniserregend ... traf sich mit dunklen Typen aus der Drogenszene ... hatte nie Geld ... schuldet jedem Geld ... ist einmal im Flur ohnmächtig zusammengebrochen ... hätte vergewaltigt oder ermordet werden können ...«
Sie sprach immer weiter. Ich hörte zu, wie sie mein Leben verdrehte und verzerrte und aus einer normalen, harmlosen Sache etwas Krankes machte, und allmählich wurde ich wütend. Sie war schließlich auch keine Heilige.
»... ich hatte Angst, nach Hause zu kommen ... hoffte, dass sie nicht da sein würde ... es war mir sehr peinlich ... zu jeder Tages- und Nachtzeit ... hat immer blaugemacht ... hat andere für sich anrufen lassen, um sie krankzumelden ...«
Plötzlich brüllte ich los. »Und was ist mit dir?«, schrie ich. »Seit wann bist du denn über jeden Tadel erhaben? Doch erst, seit du dir diese wunder wie tolle Beförderung erschleimt hast, seitdem bist du so borniert, wenn es um Drogen geht.«
»Rachel, benehmen Sie sich!«, befahl Josephine.
»Nein, ich benehme mich nicht!«, brüllte ich zurück. »Ich werde nicht hier sitzen und zuhören, wie ich von diesem ... diesem Scheingericht verurteilt werde, und dabei könnte ich Ihnen ein paar Sachen erzählen, die sie gemacht hat ...«
»Rachel«, drohte Josephine, »seien Sie still und haben Sie wenigstens die Höflichkeit, jemandem zuzuhören, der aus Sorge um Sie dreitausend Meilen hierhergekommen ist!«
Ich wollte ihr schon entgegenschleudern: »Sorge? Das ich nicht lache!« Doch dann sah ich Lukes Gesicht. Die Mischung aus Mitleid und Widerwillen, die darin stand, nahm mir den Wind aus den Segeln. Ich war so sehr daran gewöhnt, seinen bewundernden Blick auf mir zu spüren, dass mir für einen Moment lang schwindlig wurde. Ich fühlte mich gedemütigt und sagte nichts.
Brigit sah mitgenommen aus, fuhr aber fort.
»... verrückte Paranoia ... beschuldigte mich, mit Luke zu flirten... immer irrationaler ... ließ nicht mit sich reden ... nicht nur Kokain ... große Flaschen mit Valium ... Joints ... Tequila ... wollte nichts tun, wenn es keine Drogen gab ... wusch
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