Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
haben!
»Dass mehr gelbe drin sind als jede andere Farbe«, erklärte Eddie. »Und von den schwarzen sind am wenigsten drin. Guck hier! Zwei schwarze. Fünf rote. Fünf grüne. Acht orangefarbene. Und acht ... neun ... zehn ... zwölf, sage und schreibe zwölf gelbe. Das ist nicht fair. Jeder kauft sie wegen der schwarzen, und dann wird man mit den widerlichen, ekligen gelben abgespeist.«
»Ich mag gelbe ganz gern«, war eine andere Stimme zu hören.
»Du bist auch krank im Kopf«, sagte jemand anders.
Dann brach ein ruppiger Streit über die gelben Weingummis aus, aber ich verfolgte ihn nicht. Ich war voll und ganz damit beschäftigt, den Schaden in meinem Leben abzuschätzen. Wie würde ich zurechtkommen, wenn – ein großes Wenn – ich eine Weile lang keine Drogen nahm. Was würde ich tun? Ich hätte keinen Spaß mehr, das stand fest. Allerdings hatte ich in letzter Zeit auch so nicht viel Spaß gehabt, das musste ich zugeben. Aber soweit ich sehen konnte, wäre meine Leben vorüber. Ich könnte genausogut tot sein.
Es gab natürlich die Möglichkeit zu reduzieren, dachte ich und griff nach Strohhalmen. Aber das hatte ich auch früher schon versucht, und es war mir nicht gelungen. Ich konnte es nicht, gestand ich mir ein, und meine Angst wuchs. Wenn ich einmal anfing, konnte ich nie genug bekommen.
In meiner Umgebung brach ein neuer Streit aus, weil Stalin auch in dem neuen Trivial Pursuit alle Antworten wusste, was Vincent nicht begreifen konnte.
»Wie ist das nur möglich?«, jammerte Vincent immer wieder. »Wie ist das nur möglich?«
»Weiß auch nicht.« Stalin zuckte die Achseln. »Ich lese die Zeitung.«
»Aber ...«, sagte Vincent verzweifelt. Man konnte sehen, dass er am liebsten gesagt hätte: »Aber du bist aus der Arbeiterschicht, wie kannst du da wissen, wie die Hauptstadt von Usbekistan heißt.« Aber so benahm er sich nicht mehr.
Es war eine wunderbare Erlösung, schlafen gehen zu können und meinen aufgeschreckten, wilden Gedanken zu entkommen. Aber mitten in der Nacht wachte ich mit einem Ruck auf, weil mir eine weitere Verschiebung in meiner Psyche bewusst wurde. Diesmal war es die schreckliche Erinnerung an die Situation, als Brigit mich dabei erwischte, wie ich zwanzig Dollar aus ihrem Portemonnaie stahl. Ich hatte es gestohlen, dachte ich, als ich da im Bett lag. Wie abscheulich. Aber damals hatte ich es nicht für abscheulich gehalten. Ich hatte gar keine Gefühle gehabt. Brigit war befördert worden, hatte ich mir vorgesagt, sie konnte sich das leisten. Jetzt verstand ich plötzlich nicht mehr, wie ich je so hatte denken können.
Zu meiner großen Erleichterung legten sich kurz darauf diese Gedanken wieder.
Am Samstagmorgen vor dem Kochkurs legte Chris den Arm um mich und sagte: »Und wie geht’s?« Und ich konnte lächeln und sagen: »Viel besser.«
Ich konnte zwar immer noch nicht schlafen, weil ich Rachepläne gegen Luke ersann, aber die Zukunft sah wieder rosiger aus, sie war noch intakt, und nicht das Katastrophengebiet, das sie zu werden gedroht hatte. Und ich konzentrierte mich aufs neue auf die Dinge, die mich seit meiner Ankunft in Cloisters glücklich gemacht hatten, nämlich die Streitereien. Am Montagabend kam es zu einem heftigen Wortgefecht zwischen Chaquie und Eddie, in dem es um Fruchtpastillen ging. Schwarze. Eddie brüllte Chaquie an: »Ich habe gesagt, du kannst eine haben, aber ich habe nicht gesagt, dass du eine schwarze haben kannst.«
Chaquie war verstört. »Jetzt kann ich es aber nicht mehr ändern.«
Sie streckte die Zunge heraus und zeigte allen den Rest der Pastille. »Willst du sie zurückhaben?«, fragte sie und näherte sich Eddie mit der ausgestreckten Zungenspitze. »Ja?«
Sie wurde unterstützt von Rufen wie: »Gut gemacht, Chaquie!« und: »Gib ihm seine schwarzen Pastillen, wo er sie merkt!«
»Mann«, sagte Barry, das Kind, bewundernd, »jetzt gefällt mir diese Chaquie fast.«
58
I m Laufe der Woche wurde mir klar, dass die Schreckgespenster nicht verschwunden waren, sondern sich neu formierten, bevor sie den nächsten Angriff wagten.
Es war, als würde ich Space Invaders spielen. Die Erinnerungen stürzten auf mich ein wie Geschosse. Immer schneller, eine schmerzlicher als die andere.
Am Anfang konnte ich sie noch ganz gut abwehren.
Brigit, weinend und mich anflehend, ich solle mit den Drogen aufhören. Ich zerschmetterte sie: PAFF!
Von Gaz Geld leihen, obwohl ich wusste, dass ich pleite war, und es ihm nicht zurückzahlen
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