Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
konnte. PATSCH!
Auf dem Fußboden meines Zimmers im Zwielicht zu mir kommen und nicht wissen, ob es Morgen oder Abend war. ZACK!
Mich an Martines freiem Tag krankmelden, sodass sie zur Arbeit kommen musste. PENG!
In einem fremden Bett neben einem fremden Mann aufwachen und nicht wissen, ob ich mit ihm geschlafen hatte.
Hoppla, das kostete mich ein Leben.
Die Erinnerungen waren jetzt deutlicher und kamen schneller hintereinander. So viele Leben hatte ich nicht mehr übrig. Es wurde schwieriger, die Geschosse abzuwehren.
Zugedröhnt auf Lukes Betriebsfeier gehen, wo ich ihn so sehr in Verlegenheit brachte, dass er um neun Uhr mit mir nach Hause ging. KNALL!
Die Flasche Champagner, die José Brigit zum Geburtstag geschenkt hatte, austrinken, und es dann leugnen. RAPUTZ!
Zu Luke sagen, Brigit sei eine Schlampe, weil ich befürchtete, dass er scharf auf sie war. Ein Leben weniger!
Mit Luke zu einer Vernissage gehen und dann einen Typen namens Jerry abschleppen. Wieder ein Leben.
Immer schneller prasselten die unerwünschten Erinnerungen auf mich herein.
Wayne um vier Uhr morgens aus dem Bett klingeln und seine Mitbewohner aufwecken, weil ich unbedingt Valium brauchte. PENG!
Anna, die sagte, sie wolle nicht so enden wie ich. PITSCH!
Aus meinem Job fliegen. PIFF!
Aus dem nächsten Job fliegen. PUFF!
Auf einer Party, nachdem ich auf dem Klo war, vergessen, meinen Body wieder zuzuknöpfen und nicht bemerken, dass er über meine Jeans hing und die anderen dachten, ich trüge ein Gewand mit Po-Rüsche im Stil der achtziger Jahre. Das waren gleich mehrere Leben.
Todesängste ausstehen, nachdem ich mich nach heftigem Drogenkonsum übergeben hatte. ZACK!
Jeden zweiten Tag Nasenbluten. KRACH!
Mit blauen Flecken am ganzen Körper aufwachen und nicht wissen, woher sie stammen. Rums!
Im Krankenhaus aufwachen, mit Schläuchen im Körper und an einen Monitor angeschlossen. Ein Leben!
Den Magen ausgepumpt bekommen. Noch eins.
Klar erkennen, dass ich hätte sterben können. Und noch eins, und noch ein, und noch eins. Spiel beendet.
Nach dem NA-Treffen am Donnerstagabend, nach fast fünf Wochen in Cloisters, kam endlich der Tag der großen Abrechnung.
Alles fing ganz harmlos an. Um acht Uhr trieben wir die üblichen Verdächtigen zusammen und setzten uns in Richtung Bibliothek in Bewegung.
Enttäuscht stellte ich fest, dass eine Frau gekommen war, die mit uns sprechen sollte. Wieder eine Frau! Inzwischen hatte ich den Verdacht, dass Francie lauter Lügenmärchen erzählte, und fragte mich, ob ihre Geschichte, dass bei den NA-Treffen immer Männer sprachen, nicht auch dazugehörte. Die Frau hieß Jeanie, sie war jung und dünn und sah gut aus. So wie schon bei Nola wand ich mich bei jedem ihrer Worte, weil es in mir eine Erinnerung wachrief und mich kopfüber in den abgrundtiefen Schlund katapultierte, wo ich meiner eigenen Sucht begegnete.
Sie begann ihren Bericht mit den Worten: »Als ich am Ende meiner Drogenkarriere stand, hatte ich nichts mehr in meinem Leben: keinen Job, kein Geld, keine Freunde, keine Beziehung, keine Selbstachtung und keine Würde.«
Ich wusste, was sie meinte, und das erschütterte mich dermaßen, dass es sich anfühlte, als wäre mir der Boden unter den Füßen weggezogen worden.
»Mein Drogenkonsum hatte allen Antrieb in mir lahmgelegt. Ich trat auf der Stelle und lebte wie ein Teenager, während die Menschen um mich herum sich wie Erwachsene verhielten.«
Dieser größere, noch heftigere Schock brachte mich aus dem Gleichgewicht.
»In gewisser Weise war ich durch meinen Drogenkonsum wie scheintot und habe nur noch dahinvegetiert.«
Voller Entsetzen merkte ich, dass sich das Beben und die Erschütterungen diesmal erst beruhigen würden, wenn sie sich ganz ausgetobt hätten.
»Und das Komische daran war ...«, sagte sie und lächelte uns der Reihe nach an, »... ich dachte, mein Leben würde aufhören, wenn ich aufhörte, Drogen zu nehmen. Dabei hatte ich gar kein Leben!«
In Deckung, jetzt kommt’s.
In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. So wie ein Erdbeben ein Haus durcheinanderrüttelt und alles darin aus den Angeln hebt, so wirbelten diese unbequemen Einsichten alle Emotionen und Erinnerungen in mir durcheinander. Nichts blieb da, wo es war, jedes einzelne Gefühl geriet ins Wanken. Das Universum in meinem Kopf kippte und schwankte, alles war aus dem Lot und verschoben und fand sich an Stellen wieder, die vorher falsch, unlogisch oder unmöglich erschienen waren. Aber ich
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