Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
Namen des anderen gemerkt hatte. Neulinge wurden von den anderen sofort aufgenommen, sodass man nach kürzester Zeit dachte, sie wären schon immer da gewesen.
Ich begriff, dass ich jetzt zu den Alteingesessenen gehörte, als mir eines Tages die Leitung eines der Haushaltsteams übertragen wurde. Ich betreute das Frühstücksteam, Chaquie das Mittagessenteam, Angela das Abendessenteam und Misty das Putzteam.
»So«, sagte Chaquie forsch, »Angela und ich haben unsere Teams schon zusammengestellt.«
»Wann?«, fragte ich.
»Als du ferngesehen hast«, sagte sie verlegen.
»Du gemeines Miststück«, beschwerte ich mich. »Ich wette, du hast alle genommen, die fit und schlau sind, und keine von euch hat Francie genommen.«
»Selber Miststück«, gab Chaquie zurück. »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.«
Ich war so gerührt, weil sie »selber Miststück« gesagt hatte, dass ich ihr verzieh. Sie hatte sich sehr verändert.
»Du kannst dich ja mit Misty zusammensetzen und die übrigen verteilen«, sagte Chaquie beklommen.
Ich sah sie entgeistert an. Ich hasste Misty. Dann fiel mir auf, dass die Spannung, die bisher zwischen uns geherrscht hatte, nicht mehr ganz so stark war, seit Chris nicht mehr da war. Trotzdem wollte ich mich nicht mir ihr an einen Tisch setzen und etwas besprechen müssen, und das sagte ich auch.
»Komm schon, Rachel«, besänftigte Chaquie mich, »benimm dich wie eine Erwachsene und gib dem Mädchen eine Chance.«
»Mann, da hat sich ja deine Meinung ganz schön geändert«, beschwerte ich mich. Chaquie und ich hatten uns in den letzten sechs Wochen abends mit Geschichten darüber, wie sehr wir Misty hassten, in den Schlaf gelullt.
»Ach, das arme Kind«, sagte Chaquie scheu. »Die ganzen schrecklichen Dinge, die ihr zugestoßen sind, kein Wunder, dass sie so eine schwierige Kandidatin ist ...«
»Ich spreche mit ihr nur, wenn du mir Francie abnimmst«, versuchte ich zu handeln. Keiner von uns wollte Francie im Team haben, weil sie komplett übergeschnappt war, sich nichts sagen ließ und obendrein noch faul war.
Chaquie schwankte, dann sagte sie: »Also gut, Gott steh mir bei.«
Und sehr widerstrebend ging ich Misty suchen.
»Wir müssen unsere Teams zusammenstellen«, sagte ich. Sie sah mich kühl an.
»Gut«, sagte sie, was mich überraschte, »sollen wir es gleich machen?«
Also holten wir uns die Liste der Halbidioten und Irren, die Angela und Chaquie uns übriggelassen hatten, und verteilten sie. Und als ich mit ihr sprach, stellte ich fest, dass ich Misty mitten in all dem anderen Wirrwarr, das in mir herrschte, nicht mehr hasste. Ich verzehrte mich nicht mehr vor Eifersucht angesichts ihrer zierlichen Schönheit, sondern hatte stattdessen den Wunsch, sie zu beschützen. Vorsichtig erwärmten sich unsere Gefühle füreinander.
Und als wir vom Tisch aufstanden, wo wir unsere Angelegenheit so erwachsen geregelt hatten, berührte Misty meine Wange. Es war komisch, dass sie das tat, aber ich stand da und ließ sie gewähren und spürte Mitleid, Zuneigung und eine merkwürdige Freundschaft von ihr ausgehen. Eine kleine Blume in einem verdörrten Land.
»Siehst du«, sagte Chaquie mit einem ironischen Lächeln später.
»Du solltest zur UN gehen«, erwiderte ich und tat, als wäre ich sauer. »Als Diplomatin.«
»Dann hätte ich wenigstens etwas zu tun, wenn Dermot sich von mir scheiden lässt«, sagte sie nachdenklich, und aus irgendeinem Grund fanden wir das beide so komisch, dass wir lachten, bis uns die Tränen über die Wangen liefen.
Als an dem Abend die Listen für die Haushaltsteams am Schwarzen Brett aufgehängt wurden, hörte ich, wie Larry, ein siebzehnjähriger Heroinsüchtiger, der schon auf einer Schule für Schwererziehbare gewesen war, sagte: »Ich will nicht in Rachels Team sein, sie ist so aggressiv.«
Stimmte das?, fragte ich mich und war eher amüsiert als erzürnt.
Und dann merkte ich, dass sich ein Wunder vollzog. Obwohl in mir immer noch ein heftiger Zorn gegen Luke tobte und ein weniger heftiger gegen Brigit, wütete ich nicht mehr dagegen, süchtig zu sein. Ich hatte mitbekommen, wie viele der anderen von rasender Wut zu ruhiger Akzeptanz gelangt waren, aber ich hatte nicht eine Sekunde geglaubt, es könnte mir auch so ergehen.
In mir breitete sich ein unbekanntes Gefühl aus. Eine Art Frieden.
Ich war also süchtig. Na und? Ich quälte mich nicht länger, weil ich mir wünschte, die Dinge wären anders. Sei doch mal ehrlich, sagte ich zu mir, du
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