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Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Titel: Rachel im Wunderland: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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Welchen Sinn hätte es schon, sich die Beine enthaaren zu lassen? Da wir beide keine geschlechtlichen Beziehungen haben durften, würde das Ergebnis einer solchen Aktion nie das Tageslicht erblicken. Wenn ich schon Geld ausgab, dann sollte es auch jeder wissen.
    Am Dienstagmorgen war ich in ausgelassener und erwartungsvoller Stimmung und überredete Mum, mich zu Haarklein zu fahren, wo mir Jasmine die Haare schneiden sollte. Was war nur in mich gefahren? Immer, wenn ich in meinem bisherigen Leben vom Friseur gekommen war, hatte ich nur mit Mühe die Tränen zurückhalten können.
    Aber ich vergaß es jedes Mal. Erst wenn ich vor dem Spiegel saß und jemand mir mit den Fingern durch die Haare fuhr, die Nase rümpfend Strähnen davon hochhielt und wieder fallenließ, und dann vor sich hin murmelte: »Gütiger Himmel, Spliss bis oben hin« , fiel mir alles wieder ein. Dann war es allerdings zu spät.
    Es war schon so lange her, dass ich etwas so Alltägliches unternommen hatte wie einen Friseurbesuch, dass ich die Kacheln und Spiegel, die Handtücher und Fläschchen in Haarklein fast wie ein Wunderwerk betrachtete. Das Echo auf meine Bewunderung war minimal, denn das Mädchen am Empfang nahm mich kaum wahr, als ich ihr mein Anliegen vortrug. »Setzen Sie sich bitte an das Waschbecken«, sagte sie zu mir. Dann hörte ich sie rufen: »Gráinne, Gráinne, eine Kundin an Becken zwei.«
    Gráinne stärkte mein Vertrauen in die Sache nicht. Sie sah sehr jung aus. Ich hätte geschätzt, kaum älter als dreizehn, aber dagegen gab es doch bestimmt ein Gesetz, oder? Auf streichholzdünnen, wackligen Beinen kam sie auf mich zu und wollte mir in die Augen blicken, was ihr aber nicht gelang.
    Wacklig, wie sie war, legte sie mir den Umhang um und stopfte mir ein Riesenhandtuch in den Ausschnitt. Es fiel ihr sichtlich schwer, sich auf ihren Plateausohlen aufrecht zu halten.
    Dann drehte sie das Wasser an, und ich lehnte mich zurück. Aber von Entspannung konnte keine Rede sein.
    »Ehm, wo fahren Sie denn dieses Jahr in den Ferien hin?«, fragte Gráinne unbeholfen, als hätte man ihr das so beigebracht. Offensichtlich war sie fest entschlossen, ihr Diplom für Schneiden, Färben und armselige Konversation zu bekommen.
    »Nirgendwohin«, sagte ich.
    »Wie schön«, sagte sie und knetete meine Kopfhaut.
    Ein paar Augenblicke beglückenden Schweigens folgten.
    »Waren Sie da schon mal?«, fragte sie.
    »Unzählige Male.«
    Wieder vergingen ein paar Minuten, in denen sie mir die Kopfhaut verbrühte und mir so viel Wasser in die Ohren laufen ließ, dass ich schon dachte, ich bekäme einen Wasserkopf.
    »Fahren Sie mit Freunden?«, fragte sie.
    »Nein«, sagte ich, »ich habe keine Freunde.«
    »Das ist ja wunderbar«, fuhr sie freundlich fort.
    Während Gráinne schrubbte, spülte und Conditioner einrieb, spürte ich einen gewissen Stolz, weil ich anscheinend ganz normal aussah.
    »Wer macht es Ihnen heute?«, fragte Gráinne. Ich fand diesen Ausdruck ein bisschen daneben.
    »Jasmine.«
    »Dann sage ich ...« Sie kicherte leise, aber so lange sie mich nicht auslachte, hatte ich nichts dagegen. »... Jasmine Bescheid.«
    Sie stolperte davon – wegen der Schuhe musste sie sich sehr weit vornüber beugen – und rief: »Maura, Maura, deine Kundin ist so weit.«
    Als ich Maura/Jasmine sah, erkannte ich sie sofort, und nicht nur, weil sie mir die Haare geschnitten hatte, als ich Weihnachten zu Hause war. Sie hatte eine dunkle Grundierung so dick aufgetragen, dass sie mit ihrem wasserstoffblonden Haar wie ein Negativ aussah. Man konnte sie schwerlich vergessen.
    Als sie an Gráinne vorbeikam, blieb sie stehen und sagte mit verärgerter Miene etwas zu ihr, wahrscheinlich, dass sie sie nicht Maura nennen sollte.
    Sie erkannte mich offenbar nicht, denn als sie mein Haar hochhielt und wieder fallenließ, sagte sie voller Abscheu und mit einem ausgeprägten Dubliner Akzent: »Gott o Gott! Wer hat Ihnen denn das letzte Mal die Haare gemacht? Eine einzige Katastrophe.«
    »Ich war hier.« Ich schrumpfte in mich zusammen. Es kostete mich Mühe, ihren Akzent nicht zu kopieren. Ich schämte mich meiner Mittelschichtsaussprache und fürchtete, dass sie denken könnte, ich hielt mich für was Besseres. Ich wollte das Salz der Erde sein, wie Gráinne und Maura.
    »Wer hat es geschnitten?«, wollte sie wissen
    »Ich glaube, Sie«, sagte ich zaghaft.
    Zur Strafe würde sie mir jetzt mein Haar ruinieren. Friseure gehören zu dem mächtigsten Berufsstand der

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