Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
dachte ich, einer von diesen jungen Männern wird mir helfen, über Chris hinwegzukommen.
»Lass die Finger davon!«, sagte Nola entschieden, als sie meine verstohlenen Blicke bemerkte.
Nach dem Treffen setzte sie mir bei einer Tasse Kaffee ordentlich zu. »Wieso hast du die denn alle so genau beäugt?«
Da war ich heilfroh, mir die Geschichte von meiner schrecklichen Erfahrung mit Chris von der Seele reden zu können. Von dem unbefriedigenden Sex, dem Verdacht, dass er mich gar nicht begehrte, meiner Angst, dass er es auf Helen abgesehen hatte, von meiner Demütigung und meinem Gefühl der Unzulänglichkeit. »Und ich glaube, das Beste für mich wäre, wenn ich mir einen neuen Liebhaber nähme«, schloss ich.
»Ah, nein«, sagte Nola so sanft, dass ich einen Moment übertölpelt war. »Wozu sollte das gut sein? Beziehungen in der Anfangsphase der drogenfreien Zeit sind ein großer Fehler. Du machst dich nur unglücklich.«
Ich war vollkommen anderer Meinung.
»Du bist zu jung und zu unreif, um die richtige Entscheidung zu treffen!« So wie sie es sagte, klang es wie ein Kompliment.
»Ich bin siebenundzwanzig«, wandte ich schmollend ein.
»Ist es nicht ein Geschenk, dass du so hübsch und so jung bist«, sagte sie strahlend und ging gar nicht weiter auf mich ein. Mit voller Absicht, wie ich später verstand.
»Trotzdem«, sagte sie freundlich, »Lass die Jungs eine Weile in Ruhe. Du kommst doch gerade erst aus der Klinik.«
Das frustrierte mich nun wirklich, aber sie war so nett, dass ich mich nicht beklagen mochte.
»Weißt du was?«, plauderte sie. »Du wirst lachen, aber viele Leute glauben, dass die NA eine Art Partnervermittlungsagentur ist.«
Francie, du verlogenes Biest.
»Ist das nicht zum Schreien? Du hast ja selbst erlebt, was es für eine Katastrophe war, als du dich mit einem Süchtigen getroffen hast, der auch gerade erst aufgehört hatte.« Nola sah mich freundlich an. »Du bist rückfällig geworden! Und du willst doch nicht, dass das wieder passiert, oder? Dazu hast du zu viel Respekt vor dir selbst.«
Das stimmte nicht, aber ich mochte sie zu sehr, als dass ich ihr widersprechen wollte.
»Die ganze Sache mit Chris war fürchterlich«, gab ich zu.
»Ja, natürlich!«, rief Nola aus, als hätte jemand etwas anderes behaupten wollen. »Aber vergiss ihn.«
Mir fiel auf, dass in jedem Gespräch zwischen zwei Frauen, in welchem Zusammenhang auch immer, irgendwann genau diese Worte fielen.
»Ich glaube, es tut besonders weh, wenn man von jemandem abgelehnt wird, den man gewissermaßen verehrt hat«, versuchte ich zu erklären. »Er hat mir immer gute Ratschläge gegeben, als wir in Cloisters waren. Er war so weise.«
»Aber er war nicht weise«, widersprach Nola mit unschuldiger Überraschung. »Er ist doch ein komplettes Arschloch.«
Ich war schockiert. Ich hatte gedacht, dass jemand wie sie so etwas nie über die Lippen bringen würde.
»Aber es stimmt doch«, sagte sie mit einem kleinen Kichern. »Ein kom-plet-tes Arschloch. Ich sage damit nicht, dass es seine Schuld ist, aber er hat nicht weise gehandelt, indem er dir haufenweise gute Ratschläge gegeben hat. Worte sind Schall und Rauch – du musst auf das achten, was die Leute tun, nicht auf das, was sie sagen.«
»Aber er war wirklich sehr nett zu mir in der Klapsmühle.« Ich fühlte mich verpflichtet, ihn zu verteidigen.
»Das glaube ich dir gerne«, stimmte sie mir freundlich zu. »Besonders, wenn du unglücklich warst, stimmt’s?«
»Ja«, sagte ich und fragte mich, wie sie das wissen konnte.
»Klar, viele Süchtige sind manipulativ«, sagte Nola mit größtem Verständnis. »Sie gehen immer zu den Menschen, die am verletzbarsten sind. Ich würde annehmen, dass du nicht die einzige Frau warst, zu der der arme Kerl nett war.« Sie sagte alles mit einer so freundlichen, angenehmen Stimme, dass ich immer erst einen Moment später merkte, wie vernichtend sie es meinte. Und sie hatte recht, musste ich zugeben, als mir wieder einfiel, wie Chris Mistys Tränen mit seinem Daumen weggewischt hatte, so wie er es kurz davor bei mir gemacht hatte. Und wie er sich vergewissert hatte, dass ich ihn dabei sah. Da hatte er auf jeden Fall sein Spiel mit mir getrieben. Stockend erzählte ich Nola davon.
»Siehst du«, sagte sie triumphierend. »Du musst das Kapitel mit ihm abschließen. Es hört sich nicht so an, als ob es ihm gut geht, dem Armen. Dir das Gefühl zu geben, dass er so gut Bescheid weiß, und dabei ist er nicht besser dran
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