Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
Plötzlich war ich ganz niedergeschlagen. »Mein Leben ist vorbei.«
Unversehens stand Nola auf.
»Beeil dich, trink aus!«, befahl sie und deutete auf meinen Kaffee, dann warf sie zwei Pfund auf den Tisch. »Und komm!«
»Wohin ...?«
»Komm einfach mit«, sagte sie atemlos und aufgeregt.
Sie ging voraus auf die Straße und marschierte, ein Schlüsselbund in der Hand, auf einen silberfarbenen Sportwagen zu.
»Steig ein, meine Gute«, befahl sie. Ängstlich stieg ich ein.
»Wohin fahren wir?«, fragte ich, als sie wie eine Wahnsinnige durch die Straßen preschte.
»Ich will dir was zeigen«, murmelte sie ausweichend. »Es wird dir gefallen.«
Und dann sagte sie nichts weiter, bis wir mit quietschenden Reifen vor einem roten Backsteinhaus zum Stehen kamen.
»Aussteigen, bitte«, sagte sie. Freundlich, aber bestimmt. Ich dachte längst nicht mehr, dass Nola das sanftmütige Wesen war, das sie auf den ersten Blick zu sein schien.
Ich stieg aus, und sie ging mit festen Schritten über den Kiesweg zur Tür und bat mich mit einer Geste ins Haus.
»Harry!«, rief sie. »Harry!«
Ich dachte, Harry müsse der Hund sein, weil doch kein menschliches irisches Wesen Harry genannt wurde.
Doch als kein Hund herbeigetollt kam, begriff ich, dass Harry der zwei Meter zwanzig große, gebräunte, blonde Mann war, der auf ihr Rufen hin in den Flur kam.
»Das ist Harry«, sagte sie. »Mein Mann. Ich habe ihn kennengelernt, als ich drei Jahre drogenfrei war. Da war ich acht Jahre älter als du jetzt. Er ist ganz verrückt nach mir. Das bist du doch, oder?« Sie sah zu ihm auf.
Er nickte. »Ganz verrückt nach ihr«, sagte er vertraulich zu mir.
»Wir haben eine großartige Beziehung.« Sie zwinkerte mir zu. »Weil ich gelernt habe, mit mir selbst zu leben, bevor ich ihn kennenlernte. Ich war sehr unglücklich, bis ich das gelernt hatte. Drücke ich mich klar genug aus?«, sagte sie mit einem fragenden Blick.
»Glasklar«, murmelte ich.
»Gut.« Sie strahlte. »Wunderbar! Manchmal verwirre ich die Leute. Nun komm, ich fahre dich nach Hause.«
Und wenn ich im Laufe des nächsten Jahres nachts aufwachte und dachte, ich würde bis zu meinem Lebensende nie wieder den Körper eines Mannes neben mir spüren – und diese Gelegenheiten gab es häufig –, dann dachte ich »Operation Harry«, und die Panik ließ nach. Wenn ich ein Jahr lang clean und mannlos überstanden hatte, würde ich meinen Gratis-Harry anfordern.
Nola rief mich an und nahm mich zu einem anderen Treffen mit. Es fand in einem anderen Gemeindehaus mit anderen Leuten statt, aber der Ablauf war der gleiche. »Komm einfach wieder«, sagten alle, »und dann wird alles besser.« Am nächsten Tag holte Nola mich zu einem weiteren Treffen ab, und am nächsten Tag wieder zu einem.
»Warum bist du so nett zu mir?«, fragte ich ein wenig skeptisch.
»Warum denn nicht?«, rief sie aus. »Du bist doch ein Schatz.«
»Warum aber?«, beharrte ich.
»Ach«, seufzte sie. »Als ich dich in Cloisters sah mit deiner übelgelaunten Miene, hast du mich an mich selbst erinnert. Ich fühlte mich um sieben Jahre zurückversetzt, in den Zustand unglücklicher Verzweiflung. Mit der Verwirrung und dem ganzen inneren Durcheinander. In dem Moment, als ich dich sah, dachte ich: ›Gott sei Dank bin ich nicht mehr so wie sie.‹«
Ich war irritiert. So eine Frechheit!
»Du warst genau wie ich«, sagte sie freundlich, »wir sind genau gleich.«
Das besänftigte mich. Ich wollte wie sie sein.
»Ich hätte mit den Drogen nicht aufgehört, wenn damals keiner nett zu mir gewesen wäre«, sagte sie. »Jetzt bin ich an der Reihe. Und wenn es dir besser geht, dann hilfst du den neuen.«
Das rührte und verstörte mich gleichzeitig.
»Hast du keine Arbeit?«, fragte ich sie am folgenden Tag, als sie mich zu einem weiteren Treffen abholte.
»Ich bin selbstständig«, sagte sie. »Mach dir keine Sorgen um mich.«
»Was machst du denn?«, fragte ich neugierig.
Sie erzählte mir, dass sie eine Modelagentur hatte, die erfolgreichste in ganz Irland. Sie selbst war auch Model gewesen. Das tröstete mich. Es gefiel mir außerordentlich, dass sie süchtig sein konnte und dennoch einen glänzenden Beruf mit Erfolg ausübte. Es milderte das drückende Gefühl, dass ich zu den Verlierern gehörte.
»Es gibt eine Menge von uns drogenfreien Süchtigen, die es im Beruf sehr weit bringen«, sagte sie. »Wenn es dir ein bisschen besser geht, machst du es uns wahrscheinlich nach.«
Das konnte ich mir
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