Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
bereiten.
Ich hoffte, dass ich nach meinem kleinen Spaziergang meine Gefühle für Luke ad acta legen könnte. Etwas anderes blieb mir nicht übrig, denn ich hatte nicht den Mut, ihn anzurufen.
Stattdessen konzentrierte ich mich darauf, ein rudimentäres Leben aufzubauen. Als Erstes suchte ich mir einen Job. In New York war es sehr leicht, Arbeit zu finden.
Vorausgesetzt, man hatte nichts dagegen, für einen Hungerlohn zu arbeiten. Ich fand eine Stelle in einem Hotel, einem kleinen italienischen Familienbetrieb. Gar nicht so übel, abgesehen von dem miesen Lohn.
Rückblickend konnte ich nicht verstehen, wie ich je in einem so schrecklichen Laden wie dem Barbados Motel hatte arbeiten können.
Dann riefich Brigit an. Die Aussicht, sie zu sehen, machte mich nervös und aufgeregt. Aber, der Gipfel der Ironie, sie war für die Sommerferien nach Irland gefahren.
Im Laufe der nächsten zwei Wochen nahm ich ein geregeltes Leben auf, wenn auch ein ziemlich langweiliges. Ich ging zur Arbeit, und ich ging zu den Treffen, und das war’s auch schon.
Die anderen Frauen in dem Hotel waren hauptsächlich kräftige Farmerkinder aus den Südstaaten, der Heimat des Inzests. Sie hatten tolle Namen wie Jimmy-Jean und Bobby-Jane und Billy-Jill. Ich hätte mich gerne mit ihnen angefreundet, aber sie betrachteten jeden, der nicht zu ihnen gehörte, mit einigem Argwohn.
Nur zwei waren freundlich zu mir: Wanda, eine ungefähr zwei Meter große Texanerin mit wasserstoffblonden Haaren, die ständig Kaugummi kaute und sich nur mit Mühe daran gewöhnte, dass sie nicht mehr in einem Trailer wohnte. Und eine untersetzte, kurzgeschorene Frau mit einem Damen – bart, die auf den Namen Brad hörte. Sie war sogar sehr freundlich, aber ich glaubte, ich durchschaute ihre Absichten.
Es war eine merkwürdige Zeit. Ich fühlte mich allein, nicht dazugehörig, abgetrennt. Es war nicht unbedingt angenehm.
Außer, dass mich die Gefühle, die durch das Wiedersehen mit New York an die Oberfläche kamen, immer noch überwältigten. Manchmal zwangen mich die Erinnerungen an früher regelrecht in die Knie.
Aber auch das Entsetzen. Wie oft war ich mit einem völlig fremden Mann nach Hause gegangen, und das machte mir jetzt panische Angst. Wie viele Male hätte ich vergewaltigt oder ermordet werden können! Ich erinnerte mich, dass ich damals dachte, die ganze Stadt sei böse. Meine Rückkehr hatte Erinnerungen einer ganz anderen Dimension ausgelöst. Inbesondere die Luke-Nostalgie machte keinerlei Anstalten abzuebben. Sie wurde sogar schlimmer. Ich fing an, von ihm zu träumen. Schreckliche Träume über die Zeit vor zwei Jahren, als mein Leben noch nicht so furchtbar entgleist war und er mich immer noch liebte. Natürlich waren nicht die Träume schrecklich, sondern das Aufwachen.
Ich wusste, ich würde ihn sehen müssen. Ich musste es wenigstens versuchen. Aber das wollte ich nicht, weil er bestimmt eine neue Freundin hatte, und ich glaubte, das könnte ich nicht ertragen. Ich versuchte mich mit dem Gedanken zu trösten, dass er möglicherweise keine Freundin hatte. Aber warum nicht?, fragte ich. Sogar ich hatte mit jemandem zumindest halbwegs geschlafen, und damals sollte ich eigentlich enthaltsam leben.
Die Tage vergingen in einer Art Wachtraum. Vor mir lag eine schwierige Aufgabe, und meiner selbst getreu versuchte ich so zu tun, als sähe ich sie nicht.
Alte Gewohnheiten lassen sich nur schwer ausrotten.
Ich versuchte, mich damit herauszureden, dass ich seine Telefonnummer nicht hatte. Aber leider hatte ich sie. Das hieß, ich wusste sie immer noch auswendig. Seine Nummer zu Hause und die vom Büro. Allerdings vorausgesetzt, dass er immer noch da wohnte und arbeitete, wo er vor gut anderthalb Jahren gewohnt und gearbeitet hatte. Dafür gab es keine Garantie, in New York herrschte viel Durchgangsverkehr.
Als ich eines Abends – ich war seit ungefähr fünf Wochen in New York – auf dem Bett lag und las, hatte ich auf einmal das Gefühl, dass mein Mut jetzt ausreichte, um ihn anzurufen. Ohne jede Vorankündigung schien es plötzlich ein eindeutig durchführbares Unternehmen zu sein. Schnell, bevor das Gefühl verging oder ich mir alles wieder ausgeredet hatte, lief ich mit dem Portemonnaie in der Hand zu den Telefonen im Hotel, wobei ich fast einige Gäste über den Haufen gerannt hätte.
Von hier zu telefonieren, war ein bisschen einschüchternd, weil hinter einem immer eine Bobby-Ann oder eine Pauley-Sue standen und darauf warteten, mit
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