Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
Freundin von mir, sie lebt in New York. Ruf sie an, wenn du da bist, sie wird auf dich aufpassen.«
»Ist sie etwa auch süchtig?«, sagte ich und verdrehte im Scherz die Augen. »Du bringst mich immer nur mit Süchtigen zusammen, kennst du denn keine netten Leute?«
»Gib Luke einen dicken Kuss von mir«, sagte sie. »Wir sehen uns im Oktober.«
New York im Juli, das ist, als würde man mit einer feuchten, warmen Wolldecke zugedeckt.
Es war zu viel. Der Geruch, der Lärm, die Hektik auf den Straßen, die Menschenmengen, der unbarmherzig optimistische Umgangston der Menschen miteinander, die hohen Gebäude an der Fifth Avenue, zwischen denen sich die Julihitze staute, die gelben Taxis, Stoßstange an Stoßstange in dem stockenden Verkehr, der Dieselgeschmack in der Luft, das Gehupe und die phantasievollen Beschimpfungen.
Schon die Energie der Stadt überwältigte mich. Wie die vielen Ausgeflippten, die neben mir in der Subway saßen oder mich auf der Straße ansprachen.
Es schlug mir alles zu sehr entgegen. Die ersten drei Tag verbrachte ich in meinem Zimmer im Hotel, schlief und las Zeitschriften und hatte die Jalousien zugezogen.
Ich hätte nicht hierherkommen sollen, dachte ich unglücklich. Es hatte nur bewirkt, dass alte Wunden wieder aufgerissen wurden. Ich vermisste Nola und die anderen, ich vermisste meine Familie.
Jeanie rief aus Dublin an, worüber ich mich unbändig freute, bis sie mir die Leviten las.
»Bist du schon bei einem Treffen gewesen?«
»Ehm, nein.«
»Hast du Nolas Freundin angerufen?«
»Nein.«
»Hast du dir eine Stelle gesucht?«
»Noch nicht.«
»Dann mach das mal. Aber sofort.«
Ich zwang mich also, die Sicherheit meines Zimmers zu verlassen und ziellos durch die dunstige Hitze zu streifen.
Aber es war gar nicht ziellos. Es war kein bisschen ziellos.
Man könnte es eher eine Retrospektive meines Lebens in New York nennen, eine Hommage.
Hier war das Geschäft, in dem ich die giftgrünen Pantoletten gekauft hatte, die ich an dem Abend trug, als ich mit Luke zusammenkam. In diesem Gebäude arbeitete Brigit, in die Richtung kam man zu dem Old Shillayleagh, und wenn man da runterging, war man bald bei der ekligen Garage, wo Brigit, Luke und ich Josés Schwester in dieser miesen »Installation« gesehen hatten.
Ich streunte umher und trug schwer an dem Gewicht der Erinnerungen. Bei jedem Schritt kamen Gefühle von früher hoch.
Ich ging an der ehemaligen Llama Lounge vorbei, die jetzt ein Cyber-Cafe war. Ich kam zu Bonne Chère , dem Restaurant, in dem ich mit Luke gewesen war, und der Schmerz angesichts dessen, was möglich gewesen wäre, ließ mich fast zusammensinken.
Ich ging und ging in immer kleiner werdenden Kreisen, bis ich schließlich in die Straße einbog, in der Luke früher gewohnt hatte. Vor lauter Nervosität war mir übel – aber vielleicht war es auch nur die Hitze –, als ich zu dem Haus kam, in dem Luke damals wohnte. Vielleicht wohnte er immer noch da. Ich dachte an das erste Mal, als ich hierherkam. Das war der Abend in den Rickshaw Rooms. Dann dachte ich an das letzte Mal, den Sonntagabend, bevor ich die Überdosis nahm. Damals wusste ich nicht, dass es das letzte Mal sein würde, sonst hätte ich mich etwas würdevoller aufgeführt. Wenn ich das gewusst hätte, vielleicht hätte ich dafür gesorgt, dass es nicht das letzte Mal war.
Ich stand in der heißen Straße und hatte den sinnlosen und ohnmächtigen Wunsch, die Dinge ändern zu können. Ich wollte die Zeit zurückdrehen und die Vergangenheit anders gestalten. Ich wollte immer noch in New York leben, nie weggegangen sein, nicht süchtig sein, immer noch Lukes Freundin sein.
Ich lungerte eine Weile herum und hoffte halb, dass Luke auftauchen würde, halb, dass er es nicht tun würde. Dann dachte ich, dass mich jeder, der mich sah, für eine Nutte halten musste, und ging wieder weg.
Am Ende der Straße blieb ich stehen. Ich konnte nicht weitergehen. Tränen verschleierten mir die Sicht, sodass ich mich selbst und andere in Gefahr brachte. Ich lehnte mich an eine Mauer und weinte und weinte. Aus Trauer um die Vergangenheit, Trauer um das andere Leben, das ich hätte leben können, wenn alles anders gewesen wäre.
Vielleicht würde ich jetzt noch da stehen und mir die Augen ausweinen, wenn nicht eine spanischsprechende Frau herausgekommen wäre und so energisch ihren Besen geschwungen hätte, dass ich es als Aufforderung verstehen musste, zu verduften und den Anwohnern keine Schande zu
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