Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
gut aus, im Vergleich mit der Bande kahlköpfiger, dickbäuchiger und eindeutig unattraktiver Männer – womit ich aber nicht sagen will, dass sie nicht nett waren –, die um den Tisch herumsaßen.
»Drogen«, sagte eine andere Männerstimme. Aber der sah eher aus wie ein LSD-Geschädigter. Die hervortretenden Augen, der stiere Blick und die aus der Stirn gekämmten Haare verrieten ihn.
»Alkohol.«
»Esssucht.«
»Esssucht.«
Und endlich hatten sich alle vorgestellt. Oder zumindest hatten sie mir mitgeteilt, weswegen sie in der Klinik waren. Die Alkoholiker waren im Verhältnis von ungefähr vier zu eins in der Überzahl gegenüber den Drogensüchtigen. Aber es gab nur einen mit Spielsucht. Davy. Kein Wunder, dass er enttäuscht war.
Eine dicke Frau in orangefarbenem Overall knallte einen Teller mit Kohlrübenmus und Kotelett vor mir auf den Tisch.
»Danke.« Ich lächelte anmutig. »Aber ich bin Vegetarierin.«
»Na und?« Die Art, wie sie die Lippen aufwarf, erinnerte mich an Elvis.
»Ich esse kein Fleisch«, erklärte ich. Ihre aggressive Art machte mich nervös.
»Pech«, sagte sie. »Dann fängst du am besten gleich damit an.«
»W...wie bitte?«, fragte ich verwirrt.
»Hier wird gegessen, was auf den Tisch kommt«, sagte sie drohend. »Und von dem ganzen Unsinn will ich nichts hören – Essen verweigern oder zu viel essen oder essen und sich dann den Finger in den Hals stecken. Hat man so was schon gehört! Und wenn ich dich in der Küche erwische und du nach den Süßigkeiten schnüffelst, dann fliegst du gleich raus.«
»Lass sie doch, Sadie«, sagte der Mann, der mir schräg gegenüber saß. Ich mochte ihn auf Anhieb, obwohl er wie ein Boxer aussah und, was noch schlimmer war, ganz kleine Löckchen hatte, wie sie bei den römischen Kaisern so beliebt waren. »Sie ist wegen Drogen hier, nicht wegen Essproblemen. Also lass sie in Ruhe.«
»Oh, da bitte ich aber um Entschuldigung, Miss.« Sadie war ganz überschwenglich. »Aber du bist so dünn, da dachte ich, du gehörst zu denen, die nichts essen, und die regen mich so was von auf, das kann ich dir sagen. Wenn die wüssten, wie das ist, wenn man richtig Hunger hat, dann würden sie den Quatsch schnell sein lassen.«
Das gute Gefühl, versehentlich für eine Magersüchtige gehalten worden zu sein, ließ mich einen Moment lang meine Angespanntheit vergessen.
»Sadie wäre gerne Therapeutin, stimmt’s Sadie?«, witzelte einer der Männer. »Aber dazu bist du zu blöd, hab ich recht, Sadie?«
»Halt die Klappe, Mike.« Dafür, dass Sadie soeben von einem Alkoholiker (wenn ich mich recht erinnerte) beleidigt worden war, wirkte sie ganz vergnügt.
»Aber du kannst nicht mal lesen und schreiben, stimmt’s, Sadie?«, sagte der Mann – Mike?
»Kann ich wohl.« Sie lächelte. (Sie lächelte! Ich hätte ihm eine geknallt!)
»Das Einzige, was sie kann, ist kochen, und das kann sie auch nicht«, sagte Mike und zeigte auf den Tisch, und die anderen stimmten ihm eifrig zu.
»Du bist eine Niete, Sadie!«, rief jemand vom anderen Ende des Tisches.
»Ja, genau, eine Niete«, wiederholte ein Junge, der nicht älter als vierzehn aussah. Wie konnte er Alkoholiker sein?
Nachdem Sadie uns versichert hatte: »Ihr kriegt alle kein Abendessen!«, verschwand sie, und ich merkte erstaunt, dass mir zum Weinen zumute war. Die harmlosen Beleidigungen, die ja diesmal gar nicht mir galten, trieben mir die Tränen in die Augen.
»Sprich nach dem Essen mit Billings«, riet mir der Mike-Typ, der bestimmt meine zitternde Oberlippe bemerkt hatte. »Und so lange kannst du doch die Kartoffeln und das Gemüse essen, und die Koteletts lässt du liegen.«
»Gibst du sie mir?« Ein Mann mit Mondgesicht streckte seinen Kopf um den dicken Alten zu meiner Rechten herum.
»Du kannst alles haben.« Ich wollte kein Kohlrübenmus und keine Kartoffeln. Das aß ich zu Hause auch nicht, warum sollte ich es dann in diesem Luxusschuppen essen? Ich wusste ja, dass es wieder Mode war, Würstchen mit Kartoffelbrei, Mehlsoße, Dampfnudeln und dergleichen auf die Speisekarte zu setzen, aber ich mochte es einfach nicht. Und auch wenn es vielleicht völlig aus der Mode war, hatte ich mich doch auf Obst gefreut. Wo war das Salatbuffet zur Selbstbedienung? Wo die köstlichen, kalorienarmen Mahlzeiten? Wo der frischgepresste Obstsaft?
Ich schob dem Dicken meinen Teller hin und erntete Empörung.
»Gib es ihm nicht, Rachel.«
»Sag ihr, sie soll’s nicht tun.«
»Eamonn darf das nicht
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