Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
Es war wichtig, dass ich nicht mit Drogen erwischt wurde, mochten sie auch noch so harmlos sein.
Meine Handtasche!, jubilierte ich. Da könnte ich sie verstecken! Nein, Moment mal. Deswegen stand ich ja hier, in dieser Toilette, und der Schweiß lief mir den Rücken runter, weil ich sie gerade nicht in meine Handtasche stecken konnte.
Wieder drehte ich mich im Kreis, weil ich hoffte, ich hätte vielleicht etwas übersehen. Betrübt machte ich mir klar, dass ich wenigstens die Tabletten loswerden musste. Und zwar schnell. Dr. Billings wunderte sich bestimmt schon, wo ich so lange blieb, und ich wollte nicht, dass er schlecht von mir dachte. Wenigstens nicht am Anfang. Ich meine, irgendwann würde er sowieso schlecht von mir denken. Jede Autoritätsperson kam irgendwann zu dieser Auffassung, aber jetzt war es zu früh dafür, selbst für meine Begriffe ...
Eine Stimme in meinem Kopf drängte mich zur Eile. Ich musste alles, was auf mich deuten konnte, entfernen. Das kann doch alles nicht wahr sein, dachte ich, als ich mit schwitzenden Händen das Schild von der Flasche riss. Ich kam mir vor wie eine Verbrecherin.
Ich warf den Aufkleber in die Toilette, und mit einem heftigen, stechenden Gefühl von Verlust schüttete ich die kleinen weißen Pillen hinterher.
Als ich die Spülung zog, musste ich den Kopf abwenden.
Kaum waren sie weggespült, fühlte ich mich nackt und leer, aber ich konnte mich da jetzt nicht hineinsteigern. Ich hatte größere Sorgen. Was sollte ich mit der leeren braunen Flasche tun? Ich konnte sie nicht einfach liegenlassen, man würde sie bestimmt finden und mir zuordnen können. Ein Fenster, aus dem ich sie hätte werfen können, gab es nicht. Besser wäre es, sie zu behalten und später wegzuwerfen, dachte ich. Meine Handta...! O nein, ich hatte es wieder vergessen. Ich könnte sie in meinen Kleidern verstecken und hoffen, dass es – ein klägliches Lachen – keine Leibesvisitation gab.
Mir erstarrte das Blut in den Adern. Vielleicht gab es sehr wohl eine Leibesvisitation! Wo sie mit meinem Koffer und meiner Handtasche so gründlich vorgingen.
Na, ich würde mich einfach weigern. Das ist doch eine Unverschämtheit!
Aber wo an meinem Körper sollte ich die Flasche verstecken? Mein Mantel war im Empfangsraum, und andere Taschen hatte ich nicht. Fast wie im Traum hob ich meinen Pullover hoch und steckte die Flasche in meinen BH zwischen meine Brüste. Aber das tat zu weh, weil ich überall blaue Flecke hatte. Ich versuchte es mit dem einen, dann mit dem anderen Körbchen, aber man konnte die Form unter meinem eng anliegenden Angorapullover deutlich erkennen (»mein« ist nicht ganz zutreffend, denn der Pullover gehörte eigentlich Anna), also holte ich sie wieder heraus.
Es gab keine andere Lösung, es gab keinen anderen Platz. Ich steckte die Flasche in meine Unterhose. Das Glas lag kalt an meiner Haut, und ich kam mir vor wie der letzte Idiot, aber ich machte ein paar Schritte, und die Flasche blieb stecken. Na, endlich!
Ich fühlte mich nicht schlecht, doch dann sah ich mich einen Moment lang vor meinem inneren Auge, und etwas widerstrebte mir bei dem Anblick.
Wie war ich an diesem Punkt angelangt? War ich nicht eine unabhängige, selbstbewusste und erfolgreiche junge Frau, die in New York lebte? Oder war ich siebenundzwanzig, arbeitslos und angeblich drogensüchtig, befand mich in einer Klinik am Arsch der Welt und hatte eine leere Valiumflasche in meiner Unterhose stecken?
8
A rme Schweine, dachte ich voller Mitleid, als ich die Alkoholiker und anderen Süchtigen an dem langen, hölzernen Tisch beim Mittagessen sah. Diese armen Schweine.
Ich war jetzt offiziell eine Insassin.
Die Blutprobe hatte ich anstandslos hinter mich gebracht, meine Unterhose war nicht durchsucht worden, meine Reisetasche sehr wohl, aber es war nichts Auffälliges gefunden worden, und Dad und Helen waren nach den allernotwendigsten Zärtlichkeitsbezeugungen gegangen. »Benimm dich um, Himmels willen. Sonntag in einer Woche komme ich dich besuchen«, sagte Dad. »Bis dann, du Hirni, bastel mir mal was Schönes«, sagte Helen.
Als ich sah, wie Dads Auto langsam davonfuhr, beglückwünschte ich mich dafür, dass ich die Fassung bewahrt und noch gar nicht an Drogen gedacht hatte. Drogensüchtig, also wirklich!
Ich sah aus dem Fenster und hing meinen Gedanken nach, doch Dr. Billings unterbrach sie und sagte, die anderen Klienten, wie er sie nannte, säßen jetzt beim Mittagessen. Um Haaresbreite verpasste er
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