Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
Chaquie«, rief Dr. Billings und ging zur Treppe.
Bei dem Blick, den Chaquie seinem entschwindenden Rücken hinterherschickte, wurde mir richtig mulmig.
»Vergessen Sie Ihre Tasche nicht, Rachel«, erinnerte mich Dr. Billings.
Und dann stieg er die Treppe hinauf, und ich kletterte hinter ihm her mit der Tasche. Die gut zwei Zentner wog. Für den Fall, dass es in Cloisters berühmte Menschen gab, hatte ich alle meine eigenen Sachen eingepackt und einige von Helens, die mir passten. Ich hätte mir gern alles, was ihr gehörte, ausgeliehen, aber sie war klein und zierlich, und ich war eins zweiundsiebzig, sodass ich außer den Sachen, die für alle Größen passend waren, gar nichts einzupacken brauchte. Abgesehen davon, dass sie es nicht besonders lustig finden würde, wenn sie ihren Kleiderschrank aufmachte und nichts mehr darin vorfände.
Als ich also meine Tasche die Treppe mit dem Linoleumbelag hinaufhievte und -zerrte, vorbei an den Wänden, von denen die Farbe abblätterte, verfluchte ich mein Pech, dass ich gerade zu dem Zeitpunkt in Cloisters war, da das Haus offensichtlich renoviert wurde.
»Wie lange dauern die Renovierungsarbeiten noch?«, rief ich Dr. Billings zu und hoffte, dass er sagen würde: »Nicht mehr lange.«
Er lachte nur und sagte nichts. Er war ein gemeiner Kerl, dachte ich in aufbrausendem Zorn.
Keuchend und schnaufend schleppte ich mein Gepäck und wurde immer mutloser. Wenn die Wände frisch gestrichen und neue Teppiche verlegt waren, würde das Haus tatsächlich wie das Luxushotel aussehen, das ich mir vorgestellt hatte, da war ich mir sicher. Doch im Moment ähnelte es mehr einem Waisenhaus aus einem Dickens-Roman.
Als ich mein Zimmer sah, war meine Enttäuschung noch größer. Ich war perplex, um ehrlich zu sein. Musste es so winzig sein? Es war kaum genug Platz für die zwei Betten, die über Eck standen. Abgesehen von der Größe oder dem Mangel an Größe hatte das Zimmer keinerlei Ähnlichkeit mit einer Mönchszelle. Es sei denn, Mönche hatten auch rosafarbene Nylonüberdecken, an die ich mich noch aus meiner Kindheit in den Siebzigern erinnerte. Nicht ganz die handgewebte Decke aus weißem irischen Leinen, die ich mir vorgestellt hatte.
Als ich an dem Bett vorbeiging, hörte ich ein Knistern, und die Haare an meinen Beinen richteten sich auf.
Eine wacklige weiße Kommode war vollbeladen mit Pflegeutensilien von Clinique, Clarins, Lancöme und Estée Lauder. Das musste alles Chaquie gehören. Für meine zwei Dosen Hautcreme war kein Platz mehr.
»Ich lasse Sie jetzt allein«, sagte Dr. Billings. »Die Gruppensitzungen fangen um zwei an, Sie sind in der Gruppe von Josephine. Seien Sie pünktlich.«
Die Gruppensitzungen? In der von Josephine? Was würde passieren, wenn ich mich verspätete? Welches Bett war meins? Wo gab es Bügel?
»Aber was ...?«
»Fragen Sie die anderen«, sagte er. »Die helfen gern.«
Und weg war er!
Was für ein ungehöriger Mensch, dachte ich wutschnaubend. Arbeitsscheuer, ungehobelter fauler Sack. Vegetarisches Essen hat er mir nicht zugestanden. Die Tasche hat er mir nicht getragen. Und dann ist er nicht geblieben, um meine Fragen zu beantworten. Das hätte mich sehr, sehr unglücklich machen können. Er konnte ja nicht wissen, dass ich nicht wirklich süchtig war. Ich soll die anderen fragen – was denkt der sich eigentlich! Wenn ich rauskam, würde ich an die Zeitung schreiben und seinen Namen nennen. Fauler Sack. Wahrscheinlich kassierte er ein Riesengehalt. Von meinem Geld.
Ich sah mich in dem winzigen Zimmer um. Was für ein Loch! Niedergeschlagen warf ich mich aufs Bett, da hätte mich beinahe die vergessene Valiumflasche durchbohrt. Als der Schmerz nachließ, holte ich sie heraus und wollte sie im Nachttisch verstecken. Aber jedes Mal, wenn ich aufstehen wollte, blieb die rosa Bettdecke an mir haften. Wenn ich sie abstreifte, klebte sie wieder an mir.
Ich war endlos frustriert, enttäuscht, sauer.
9
J etzt reiß dich mal zusammen, befahl ich mir selbst. Denk doch an die schönen Seiten. Die Jacuzzi-Bäder, die Massagen, die Algenbehandlung, die Schlammpackungen, und was es noch so alles gab.
Na gut, sagte ich brummig, wollte aber das Selbstmitleid nicht recht abschütteln.
Halbherzig packte ich ein paar Sachen aus, doch dann stellte ich fest, dass der winzige Schrank bis zum Bersten mit Chaquies Sachen vollgepackt war. Also frischte ich mein Make-up auf, weil ich hoffte, in Josephines Gruppe auf ein paar berühmte Leute zu
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