Rachel ist süß (German Edition)

abgelenkt von den muskulösen Waden der Gruppenleiterin vor ihr, nicht schaffte, das abrupte Gruppenbremsen mit dem nötigen Ausklicken der Pedale zu beenden und gemeinsam mit dem Objekt ihrer Begierde in ein Maisfeld stürzte. Da beide Helme trugen, lagen sie eine Weile friedlich und unverletzt aufeinander und verglichen die unzähligen Narben, die sie bei vorangegangen Stürzen davongetragen hatten. Dann half die Gruppenleiterin meiner Freundin auf, ließ sie von der isotonischen Spezialmischung in ihrer Siggflasche trinken und beide klickten völlig synchron wieder in ihre Pedale ein.
     
    Selbst ich wischte mir voller Rührung heimlich die letzten Krümel meines Eibrotes aus den Mundwinkeln. Es hatte Klick gemacht und ich hatte es gesehen! Nebenbei bemerkt war besagte gute Freundin bei diesem Sturz nicht wirklich unverletzt geblieben, sondern hatte sich den Unterarm gebrochen, aber das bemerkte sie erst, als sie die Gruppenleiterin am Abend über die Schwelle der Jugendherberge tragen wollte.
     
    Ich hätte an diesem und an vielen darauf folgenden Radtourabenden niemanden über irgendetwas getragen, denn ich litt unter Schmerzen in Muskelgruppen, von denen ich gar nicht gewusst hatte, dass sie existierten. „Das ist nicht das Problem“, sagte meine Liebste ohne Mitleid, während sie mir die betroffenen Stellen mit der dafür empfohlenen Salbe einrieb. „Sie existieren schon, sie sind nur weich und untrainiert.“ Plötzlich war weich also falsch. Ich fand weich aber gut. Ich saß schon mein ganzes Leben auf weich und das hatte prima funktioniert.
     
    So vergingen seitdem meine Sommer mit Ein- und Ausklicken, mit Bergetappen und stetiger Gesäßverhärtung und deshalb war es kein Wunder, dass ich gelernt hatte, den Herbst zu lieben, seine Stürme, die die Radwege leer fegten und eisige Kälte und Schnee und friedliche Wochenenden vor der Heizung ankündigten.
     
    Ich schlug die Augen wieder auf und starrte trotzig in den viel zu blauen Himmel. Schon bald würde ich mich wieder wie eine Katze vor dem Kamin zusammenrollen und schnurren, ich würde …
     
    „Was hältst du eigentlich von Nordic Walking?“ Meine Liebste stupste mich mit der Luftpumpe an und riss mich aus meinem winterlichen Wunderland. „Das kann man mit der richtigen Kleidung auch wunderbar im Winter machen, um für die neue Radsaison fit zu bleiben.“
     

     

Rachel ist süß
     
    „Du bist süß …“, leckte sie mir mit rauer Zunge in der Mitte der Nacht durchs Ohr und ich spürte, wie sich meine Moleküle neu zusammensetzten. C12 H22 und Oh, Oh, Oh, O11.. Ich spürte mich zu Zucker werden und wohlig schmelzen, spürte, wie meine Kristalle in der Hitze ihre Struktur verloren, und sie rollte sich wohlig durch die weiche, anschmiegsame Form, die ich wurde. Alles war vergessen. Ihre Zweifel reichten meinen Zweifeln die Hand und gemeinsam nahmen sie sich neben unseren zerwühlten Kissen das Leben. Diesmal wird sie bleiben, dachte ich, diesmal bestimmt, und in zwei kurzen Schlafphasen träumte ich, dass wir gemeinsam Rollrasen und Mustertapeten aussuchten.
     
    „Rachel, du bist süß, aber in meinem Leben ist kein Platz für so etwas. Lass mich bitte endlich in Ruhe“, sagte sie am nächsten Morgen halb zur geöffneten Tür und halb zu mir. Was ich für den Beginn unseres gemeinsamen Lebens gehalten hatte, war für sie offensichtlich ein Abschied gewesen. Es war zwar nicht neu, dass mir die Schonungslosigkeit der Realität kurz nach dem Aufwachen negativ auffiel, aber das milderte die Wucht dieses Treffers kein bisschen.
     
    „Sie hat bestimmt mit dir gesprochen“, sagte ich deshalb trotzig zur Tür.
     
    „Goldene Träume lassen hungrig erwachen“, zitierte die Tür einen mir unbekannten Dichter und fiel gnadenlos hinter der Frau meiner Träume ins Schloss. Da ich mich bis zu diesem Moment noch nicht einmal aufgerichtet hatte, konnte ich auch nicht dramatisch in mein Kissen zurücksinken. So presste ich einfach die Lider zusammen, bis sie schmerzten, und wartete auf die Rückkehr meiner Träume. Morpheus suchte blitzschnell seine Sachen zusammen und verschwand grußlos. Wie immer, wenn er Liebeskummer bei mit witterte. Nessun dorma sang ich, ohne einen Ton zu treffen, in das Laken, das nach einer verbotenen Mischung aus ihr und mir und Weichspüler roch. Ich folgte der Duftspur schnüffelnd wie ein junger Hund durch die Bettwäsche, sah uns begehren und küssen und lieben und versprechen, sah uns weinen, lügen und glauben. Wir