Rachel
war, aber in diesem Fall griff seine Hand ins Leere, weil er gar keinen Hut trug. »Ich bin nicht Scully Wainwright«, schnaubte er. »Praktisch jeder Cent, den ich besitze, steckt in diesem Saloon!«
Rachel runzelte die Stirn. »Was um alles in der Welt hat Scully mit der Sache zu tun?«
»Natürlich nichts. Aber er besitzt ein großes, schönes Haus, er hat Pferde, Rinder - und Geld.«
»Ja und?«
»Ich habe nichts von alldem. Jedenfalls jetzt noch nicht, obwohl ich das eines Tages auch alles haben werde, das können Sie mir glauben. Aber bis es soweit ist, Frau Lehrerin, werden Emma und ich dort oben in den Räumen leben.« Mit dem Daumen deutete er über seine Schulter, ohne sich dabei umzublicken. »Falls Sie noch mehr gute Ratschläge anzubieten haben, würde ich es begrüßen, wenn Sie sie für sich behalten würden.«
»Sie sind wirklich unglaublich reizbar«, antwortete Rachel und stemmte wieder die Hände in die Taille. »Es tut mir leid, dass wir dieses Gespräch überhaupt begonnen haben.« Es hatte sie ja auch wirklich keinen Schritt weitergebracht.
»Mir tut es auch leid«, knurrte er. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und stürmte davon.
So endete also die erste Teegesellschaft, die in den Mauern des Brimestone Saloon abgehalten worden war. Und so wie es aussah, würde man künftig dort keinen Tee mehr servieren.
»Nun?«, fragte June neugierig, als Rachel noch nicht ganz durch die Tür der Kutschstation getreten war. »Wie ist die Sache drüben bei Trey gelaufen?«
Rachel runzelte die Stirn und fragte sich, was die Gute wohl von einem ganz normalen Besuch erwartete, den die Lehrerin einer Schülerin abstattete. Eine ähnliche Reaktion, eine gespannte Erwartungshaltung hatte sie allerdings auch schon bei Evangeline bemerkt - damals am ersten Abend auf der Ranch -, als die Freundin sie und Trey beobachtet hatte. Das musste wohl an der Spannung zwischen ihnen liegen, die zwar ganz schwach, aber eben doch vorhanden war.
Rachel zuckte mit den Achseln, aber sie hatte nicht die geringste Hoffnung, dass mit dieser nichts sagenden Geste Junes Neugier gestillt sein würde. »Es lief alles sehr gut«, erklärte sie, während sie zu dem kleinen Tisch ging, der vorm Fenster im Tageslicht stand und wo June eifrig damit beschäftigt war, eine zweite Hose für Toby zu schneidern. »Sie hatten vollkommen Recht, was Emma anbelangt. Sie ist wirklich ein außergewöhnliches Kind, eins, das einem Lehrer vermutlich höchstens ein oder zwei Mal in seinem Berufsleben begegnet.«
June nickte. Rachel wusste, dass die ältere Frau schon lange die besonderen Fähigkeiten Emmas erkannt hatte. Das war für sie eine Tatsache, über die man nicht lange reden musste. »Und Trey? Hat er durchgehalten oder ist er in die Berge geflüchtet?«
Rachel lachte leise. »Ich glaube, er wollte wie ein Hase davonrennen«, sagte s i e, »aber Emma zuliebe ist er geblieben. Es sah teilweise so aus, als würde man einen Mann beobachten, dem das Feuer unterm Hintern brennt, der aber trotzdem ganz ruhig sitzen bleibt.«
June lachte laut. »Trey ist ja nun Umgang mit gewissen Frauen gewöhnt, aber vermutlich ist es doch etwas anderes, sich mit zwei respektablen jungen Frauen an den Tisch zu setzen, tun Tee zu trinken und Plätzchen zu knabbern. Mein Gott, ich hätte meine beste Legehenne dafür gegeben, dieses Schauspiel zu sehen.«
Rachel blickte zu der geschlossenen Tür hinter dem Herd, die zur Kammer führte, in der Toby schlief. »Wie geht es dem Jungen?«
June lächelte mitfühlend. »Keine Sorge. Der kleine Nimmersatt hat nur zu viele Plätzchen auf einmal gegessen. Nachdem er sich erbrochen hat, wird er bald wieder auf den Beinen sein.«
Rachel nickte und ging in ihr eigenes Zimmer, um ihre gute Kleidung auszuziehen und statt dessen ein einfaches Kleid anzuziehen, das besser geeignet war, um in der Kutschstation zu arbeiten. Wenn June mit ihren Näharbeiten beschäftigt war - und das war in letzter Zeit häufig der Fall - war sie für Rachels Hilfe doch ganz dankbar.
Am folgenden Morgen, direkt nach dem Frühstück, machte sich Rachel ein Sandwich und eine Flasche Tee zurecht und sattelte Sunflower, tim ihre Besuchsrunde fortzusetzen. Zuerst würde sie auf der Kildare-Ranch vorbeischauen. Nach den Notizen, die sie sich gemacht hatte und die sie in der Tasche ihres Rockes mit sich trug, war Mr. Kildare ein Witwer mit zwei jungen Söhnen. Irgendjemand - aber sie konnte sich nicht mehr erinnern, wer es gewesen war - hatte
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