Rachenacht: Ein Alex-Delaware-Roman (German Edition)
beieinander, zurechtgerückt für eine intime Plauderstunde.
Ein Stuhl war leer.
Auf dem anderen stand etwas.
Milo schaltete das Deckenlicht ein, und wir sahen nach.
Am Stuhlrücken lehnte ein Einmachglas mit einer klaren, öligen Flüssigkeit.
Zwei schmutzig weiße runde Dinger trieben darin.
Milo streifte Handschuhe über, kniete sich hin und hob das Glas an. Eine der Kugeln drehte sich und offenbarte einen hellblauen kreisrunden Fleck mit einem schwarzen Punkt in der Mitte. Rötliche Verästelungen zogen sich wie winzige Würmer durch das gräuliche Weiß.
Er bewegte das Glas erneut, und da drehte sich auch die zweite Kugel. Sie zeigte die gleiche Verzierung, die gleichen feinen roten Ornamente.
Ein Paar Augäpfel. Menschliche Augäpfel. Riesige Perlzwiebeln in einer Horrorbowle.
Milo stellte das Glas an seinen Standort zurück und rief die Spurensicherung, Priorität eins.
Während er die anderen anfunkte, fiel mir am anderen Ende des Raumes ein störendes Detail ins Auge.
Als ich hier gewesen war, hatte mittig hinter dem Schreibtischstuhl der Nachweis der höchsten akademischen Auszeichnung geprangt, Bernhard Shackers Promotionsurkunde von der Université de Louvain.
Jetzt überdeckte ein weißes Blatt Papier die Trophäe.
Ich ging darauf zu.
Kleberspuren waren sichtbar, die unter dem Papier herausquollen.
Leer, weiß, rechteckig, enthielt es nur eine Botschaft:
?
35
Ein gerichtsmedizinischer Mitarbeiter namens Rubenfeld nahm sich des Weckglases an.
»So was hab ich noch nie gesehen«, sagte er.
Milo sagte: »Können Sie feststellen, wie lange die schon da drinliegen?«
Rubenfeld blinzelte. »Wenn die Flüssigkeit schon älter wäre, müsste die Entfärbung weiter fortgeschritten sein, aber genau kann ich es nicht sagen.« Er schüttelte das Glas vorsichtig. »Die abgetrennten Enden sind ein wenig verblasst – diese fedrigen Gebilde, die man da sieht, das sind kleine Blutgefäße … Die Augäpfel selbst wirken ein bisschen ledrig, oder? Das könnte bedeuten, dass sie schon eine Weile eingelegt sind, vielleicht sind es Laborpräparate.«
»Präparate sind es sicher«, sagte Milo. »Aber nicht aus einem Labor.«
Rubenfeld fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Das Alter von Körperteilen zu bestimmen ist bei meiner Gehaltsstufe nicht drin, Lieutenant. Vielleicht kann Ihnen Dr. Jernigan mehr sagen.« Er blickte hinter sich auf den Stuhl. »Aber eine Sache steht ziemlich fest. Bei der Farbe der Iris war das Opfer höchstwahrscheinlich ein Weißer.«
»Danke für den Tipp«, sagte Milo. Längst vor Eintreffen der Pathologen hatte er die Kopie von Dr. Louis Wainrights Führerschein erhalten. Augenfarbe: blau, keine Sehhilfe erforderlich.
Rubenfeld schüttelte behutsam sein Tragegestell. »Zumindest brauche ich diesmal keine Bahre.«
Von Donna Nourzadeh bekam Milo den Putzplan. Die Büros wurden normalerweise wöchentlich von einem fünfköpfigen Team gereinigt, nur diese Woche hatte es einen Ausfall gegeben, sodass drei Tage lang nirgendwo geputzt worden war.
»Abstimmungsprobleme«, sagte sie. »Nun, wenn Sie mich nicht mehr benötigen …«
Milo ließ sie gehen und wandte sich zu mir. »Irgendwann in den letzten zweiundsiebzig Stunden hat dieser Mistkerl das Glas hier deponiert.«
Ich dachte: Er hat die Augen hingestellt, weil er damit rechnete, entdeckt zu werden. Und das Fragezeichen soll seine Verbindung zu den Morden bestätigen.
Er prahlt frei und ungeniert, weil er längst eine neue Identität angenommen hat.
Ungeachtet seiner wahren Motive hatte der Mann, der sich Shacker nannte, sauber aufgeräumt und den Teppich so ordentlich gesaugt, dass die Spurensicherung bis auf ein paar Krümel nichts fand. An sämtlichen Oberflächen waren die Fingerabdrücke abgewischt worden, auch dort, wo man normalerweise immer welche findet.
Der Elan der Erkennungsdienstler ließ mit der Zeit merklich nach.
Dann rief eine von ihnen: »Hey!«, und schwenkte das Klebeband, das sie gerade vom Schutzglas eines der Zertifikate abgezogen hatte.
Links neben der überklebten Promotionsurkunde hing Shackers Approbation, am Computer gefälscht und auf hochwertigem Papier ausgedruckt. Selbst aus nächster Nähe war die Manipulation absolut überzeugend.
Die Technikerin hielt den Klebestreifen ins Licht, und ein deutliches Muster aus Linien und Kreisen, abgenommen von der oberen rechten Ecke des Glases, wurde sichtbar.
»Sieht aus wie ein Daumen und ein Finger«, sagte sie. »Als hätte sich jemand
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