Rachenacht: Ein Alex-Delaware-Roman (German Edition)
ihr Wort verlassen, sondern den stellvertretenden Geschäftsführer von Well-Start angemailt; der sitzt in Hartford, Connecticut. Er hat mich daraufhin höchstpersönlich angerufen, um mir den Namen der Kanzlei zu geben, die die Buchhaltung der Firma macht, und hat dann auch noch dort angerufen, um mich anzukündigen. Quigg war dort nie beschäftigt und hat sich auch nie um eine Stelle beworben. Mrs. Quigg hat das bestätigt. Marlin war nicht auf Jobsuche. Er war glücklich mit dem, was er erreicht hatte, und freute sich darauf, in ein paar Jahren in Rente zu gehen. Nichtsdestotrotz hab ich Quiggs Chef angerufen und ausgefragt, ob Quigg auch Versicherungen betreut hat. Die Kanzlei zählt auch Versicherungen zu ihrer Klientel, doch weder Well-Start noch einer von deren Haftungsträgern sind darunter. Und selbst wenn es so gewesen wäre – Quigg hätte neben seiner Supermarktkette keine zusätzlichen Aufgaben übernehmen können. Der Mann beschrieb den guten alten Marlin genauso wie alle anderen bisher: als freundlich, ausgeglichen und loyal. Also warum hat es ausgerechnet diese beiden erwischt? Aber vielleicht gibt es ja gar keinen Zusammenhang. Vielleicht fährt der Scheißkerl einfach in der Gegend herum, sucht sich willkürlich Beute aus, spioniert sie aus und bringt sie um die Ecke.«
Nichts an diesen Morden hatte auch nur ansatzweise etwas mit Willkür zu tun, aber jetzt war nicht die richtige Zeit, um das zu betonen.
»In der Zwischenzeit«, sagte er, »kühlen die Fälle mehr und mehr ab. Am Ende kommt er ungeschoren davon – wenn er jetzt aufhört.«
Doch in dieser Hinsicht hätte er sich keine Sorgen machen müssen.
19
Am nächsten Tag wechselte Milos Laune von miserabel zu unterirdisch.
Belle Quigg hatte sich an einen »netten jungen Mann« erinnert, dem Marlin auf einer seiner abendlichen Runden begegnet war.
Louie hatte auf den Mann »angesprochen«, für Quigg ein klares Zeichen, dass er in Ordnung war.
Milo räusperte sich. »Wir wissen ja alle, was Hunde für tolle Menschenkenner sind.« Er löffelte Linsen auf seinen Basmatireis-Hügel. Vor ihm türmten sich ausgesaugte Hummerscheren; ein gruseliges Bild, wenn man länger darüber nachdachte.
Wir saßen an seinem Stammplatz im Café Moghul, einem indischen Restaurant, das bei der Polizeistation um die Ecke lag und ihm als Zweitbüro diente. Im Laufe der Jahre hatte er hier mehr als einmal durchgeknallte Störenfriede überwältigt, die vom Santa Monica Boulevard hereinkamen. Die Inhaberin, eine süße, Brille tragende Inderin, die man noch nie zweimal im selben Sari gesehen hatte, betrachtete ihn als obersten Schutzherrn ihres Reiches und verwöhnte ihn entsprechend.
Heute gab es Hummer, Tandoori-Lamm und eine Wagenladung an gedünstetem Gemüse mit Ghee. Milo leerte dazu sechs Gläser eisgekühlten Nelkentee.
Da wir heute mit den Fällen ohnehin nicht weiterkommen würden, hatte ich beschlossen, den Tag entspannt anzugehen, und widmete mich bereits meinem zweiten Grolsch. »Hat Marlin noch irgendwas über den netten jungen Mann erzählt?«
»Belle kann sich jedenfalls nicht erinnern. Übrigens, ich habe mit einem der Labortechniker gesprochen; die Synthetikfaser, die bei Quigg gefunden wurde, könnte definitiv von einem billigen Kunstlammfell stammen. Nicht dass mich das jetzt irgendwie weiterbringen würde.«
Ich sagte: »Du hast gehört, was David Feldman gesagt hat; dass er seinen Wintermantel aus Philadelphia noch nicht einmal ausgepackt hat. Dass unser Mann einen trägt, könnte bedeuten, dass er ursprünglich aus einer kälteren Gegend stammt.«
»Oder sich im Secondhandshop vergriffen hat. Falls in dem Zusammenhang Fäustlinge und Hundeschlitten auftauchen sollten, denke ich noch mal über deine These nach. Was ich aber ganz besonders schaurig finde, ist die Vorstellung, dass der Typ Quigg möglicherweise schon Tage vor dem Mord beobachtet hat. Wie bei diesen Wespen, die Raupen erst einmal bewegungsunfähig machen, ehe sie den Stachel ansetzen.«
»Das Beobachten«, sagte ich, »könnte auch noch einen anderen Zweck haben: Die Wespe genießt es, mit ihrer Beute zu spielen.«
»Die Freuden der Jagd.«
»Ein Jäger würde eine Lammfelljacke tragen.«
»Mörderische Vorfreude.« Sein Lachen war rau. Die Frau im Sari glitt herüber. Das heutige Gewand war ein Fest aus Türkis, Korallenrot und Safrangelb. Das Rot passte zu ihrem Brillengestell.
»Sind Sie zufrieden?«
»Wie immer.«
»Noch Hummer?«
Milo klopfte sich auf den
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