Rachenacht: Ein Alex-Delaware-Roman (German Edition)
Mädchen, fünf Jahre alt, so alt, wie ich damals gewesen war. Von da an war diese Freiheit für mich der Stoff, aus dem Albträume sind. Dieser enge, abgeschlossene Raum hier fühlte sich genauso beklemmend an. Wie ich in diesem Moment daraufkam?
Nun, ich hatte sonst nichts Konstruktives beizutragen.
Milo vollendete eine weitere Umkreisung, ehe er auf Maria Thomas zuging.
Die stellvertretende Polizeichefin stand mitten in der Einfahrt des blauen Hauses, hinter zwei geparkten Fahrzeugen. Auf diese Weise abgeschirmt von der unschönen Szene, schmuste sie mit ihrem Handy.
Mit ihrem gestylten Blondhaar und einer Vorliebe für maßgeschneiderte Hosenanzüge war Maria Captain gewesen, als ich sie vor ein paar Jahren kennenlernte. Wortgewandt, umsichtig und anständig, wie sie war, passte sie perfekt in das System. Tatsächlich in Aktion habe ich sie nur einmal erlebt – und da hat sie es gründlich vermasselt. Am Ende war ein Verdächtiger in einem Verhörraum zu Tode gekommen.
Und doch hatte ihr dieses Desaster auf mysteriöse Weise eine Beförderung eingebracht.
Sie ließ Milo warten, während sie weiter telefonierte, und deutete schließlich, ohne ihr Gespräch zu unterbrechen, auf die Hintertür des Hauses.
Milo und ich betraten das helle, gepflegte Haus. Waschküche, Küche und Wohnzimmer wirkten unberührt, auch eventuelle Blutspuren aus dem Garten waren nicht zu sehen.
In der Küche duftete es nach Zimt.
Überall sah es sauber, ordentlich und normal aus.
Außer im Schlafzimmer.
Die Frau lag rücklings auf dem Doppelbett. Ihr Haar war kurz, lockig und gesträhnt, eine sorgfältige Mischung verschiedener dezenter Karamelltöne. Ihre linke Hand war mit einer blauen Krawatte an das Messingkopfteil gebunden. Man konnte das Etikett sehen. Gucci.
Unter ihrem nackten Körper lagen weder Handtücher noch Plane. Die hellblauen Laken zeigten ein paar rote Flecken, die aber nicht von einer sprudelnden Halsschlagader oder signifikantem Blutverlust herrührten.
Er hatte gewartet, bis alle Organe ihre Arbeit eingestellt hatten, ehe er sich ans Werk machte.
Genauso wie bei Vita Berlin und Marlin Quigg.
Die Augen der Frau waren weit aufgerissen, entweder waren sie post mortem geöffnet worden, oder sie hatten sich im Todeskampf geweitet und waren so geblieben.
Groß, grau, kunstvoll geschminkt, die Wimpern sorgfältig getuscht.
Verstörend lebendig, trotz des unmöglichen Winkels ihres gebrochenen Genicks und der widerlich stinkenden Eingeweide, die zu grotesken Ornamenten gelegt waren.
Auf dem Teppich neben dem Bett lag ein hauchdünnes, rosa Negligé. Die Fingernägel der Frau waren perlmuttfarben, die Fußnägel bordeauxrot.
Unter dem kleinen Zeh ihres linken Fußes lag ein Stück weißes Papier.
?
Milo knurrte. »Lass dir mal was Neues einfallen, du Arschloch.«
Der uniformierte Beamte an der Tür fragte: »Wie bitte?«
Ohne ihn zu beachten, trat Milo über die Schwelle.
Ich machte mich daran, den Raum ein zweites Mal in Augenschein zu nehmen. Auf dem linken Nachttisch stand eine Lampe, über deren Schirm ein rosa Spitzenslip drapiert war. Darunter achtlos verteilt: eine Tube Love-Jam-Gleitmittel mit Aprikosengeschmack, eine Schachtel genoppte Kondome, eine ungeöffnete Flasche Sauvignon Blanc, ein Korkenzieher, zwei Weingläser.
Die gleiche Lampe fand sich auch auf dem anderen Nachttisch, nur ohne Unterhose. Das Einzige, was sonst noch da stand, war ein Foto im Silberrahmen.
Ein attraktives Paar. In Smoking und Brautkleid, mit strahlenden Gesichtern, beim Anschneiden der vierstöckigen, mit gelben Zuckerrosen verzierten Hochzeitstorte.
Kaum jünger, als sie jetzt aussahen. Frisch verheiratet?
Die Deckenleuchte glomm orange. Der Dimmschalter neben dem Bett stand auf der niedrigsten Stufe.
Romantische Beleuchtung.
Die Szene spulte sich in meinem Hirn ab, als hätte ich das Drehbuch dazu geschrieben.
Die zwei ziehen sich ins Schlafzimmer zurück, wollen eine romantische Nacht verbringen.
Einer von ihnen oder beide hören etwas im Garten.
Sie achten nicht darauf, schließlich kann man nicht bei jedem leisen Rascheln gleich an einen Einbrecher denken.
Sie hören es erneut.
Ist da jemand – oder etwas – im Garten?
Kann ja nichts Weltbewegendes sein, ein Waschbär vielleicht, ein Opossum oder ein Stinktier. Oder ein Streuner, ein Hund oder eine Katze, auch das ist schon vorgekommen.
Sie hören es wieder.
Leises Kratzen. Blätterrascheln.
Noch einmal.
Jetzt können sie es nicht länger
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