Racheopfer
Arm mit der Waffe folgte der Bewegung seiner Augen. Der Geruch von verbrannter Nitrozellulose und Grafit schlug ihm entgegen. Er kannte den Geruch von Pulverschmauch nur zu gut und rang eine weitere Panikattacke nieder, als Erinnerungen an grässlich verstümmelte Körper auf ihn einstürmten.
Langsam drang er weiter vor und erschrak, als er Blutspritzer auf der kugelsicheren Scheibe entdeckte. Die Tür zum Kontrollraum stand offen. Es war totenstill. Langsam, vorsichtig betrat er den Raum und ließ den Blick schweifen. Es herrschte ein wildes Durcheinander. Papiere und Briefumschläge lagen auf dem Boden verstreut. Offensichtlich hatte hier ein Kampf stattgefunden.
Dann sah er die beiden Personen im Raum. Eine lag in einer tiefroten Lache regungslos auf dem Fußboden, die andere war mit Handschellen an die Wand gekettet und starrte mit leeren Augen ins Nichts.
David hielt die Pistole schussbereit, trat vor und fühlte an Berts Halsschlagader nach einem Puls. Nichts. Der Mann war tot.
»Wo ist Ackerman, Jennifer?«
Keine Antwort.
»Jennifer?«, flüsterte er.
Sie sah ihn an, doch ihre Augen blieben stumpf. Mit leerer Stimme sagte sie: »Habe ich dir von den vielen Briefen erzählt, die Ackerman mir geschrieben hat? Er hatte sie an die Adresse meiner Eltern geschickt, aber die Post hat sie zum Haus meines Großonkels weitergeleitet. Jahrelang habe ich in Angst gelebt, dass er mich findet … dass er wiederkommt und zu Ende bringt, was er angefangen hat.« Sie verstummte, atmete tief durch. »Irgendwann aber hoffte ich sogar, dass er endlich bei mir erscheint. Anfangs wünschte ich mir, dass er mich umbringt und mich wieder mit meiner Familie vereint. Irgendwann aber wurde meine Wut stärker als mein Schmerz. Ich war bereit, gegen ihn zu kämpfen … ihn zu töten.« Wieder hielt sie einen Moment inne. »Seine Briefe waren pseudophilosophisches Geschwafel. Er schilderte mir seine Verbrechen. Ich habe die Briefe an die Polizei weitergeleitet, aber sie waren nicht detailliert genug, um bei den Ermittlungen zu helfen. Es reichte allerdings, dass ich mich verhöhnt fühlte. Ich sollte wissen, dass er immer noch da war. Als wollte er, dass ich nie über ihn hinwegkam, ihn nie vergaß. Und so war es auch.«
Jennifer senkte den Blick auf den Fußboden. »Es tut mir leid, was passiert ist«, fuhr sie schluchzend fort. »Aber ich wollte die Chance nutzen, die Bestie zur Hölle zu schicken, die meine Familie abgeschlachtet und mir alles genommen hat …«
In diesem Augenblick packte David die Wut. Ehe er begriff, was er tat, trieb sein Zorn ihn durch den Raum. Er griff Jennifer grob ins Haar und zwang sie, Berts Leiche anzusehen. »Und was ist mit seiner Familie?«, fuhr er sie an. »Dieser Mann wäre noch am Leben, wärst du nicht so verrückt gewesen, dich mit Ackerman anzulegen. Was ist mit all den anderen, die du durch deine Dummheit in Gefahr gebracht hast? Glaubst du etwa, du bist die Einzige, die jemanden verloren hat? Die Einzige, die Schmerz erdulden muss?«
Jennifer versuchte, den Kopf wegzuziehen, aber David gab nicht nach. »Sieh ihn dir an! Du bist genauso für seinen Tod verantwortlich wie dieser Irre. Aber du bist besser als er. Und du hättest es besser wissen müssen!«
Endlich ließ er sie los, stürmte aus dem Kontrollraum und eilte zum Hauptflügel. Auf dem Weg nach draußen drückte er den Alarmknopf.
Hinter ihm gellten Jennifers Schreie, doch er beachtete sie nicht.
Er hatte einen Job zu erledigen.
16
Da David seine Leute bereits per Funk verständigt hatte, brodelte die Sicherheitszentrale der Klinik vor Aktivität, als er eintrat. Der kleine Raum fungierte gleichzeitig als Pausenküche für das Sicherheitspersonal und enthielt zusätzlich zu den Überwachungssystemen des Gebäudes zwei runde Esstische, einen Kühlschrank, eine Spüle und einen Mikrowellenherd. In der Luft hing der Geruch von Kaffee und Pizzaresten. Ferris stand vor einer Reihe von Überwachungsmonitoren rechts von David. Andere Männer hatten auf einem der Esstische den Grundrissplan der Klinik ausgebreitet.
David verschwendete keine Zeit und bat seine Leute um Aufmerksamkeit. »Okay, Jungs, wir haben keine Sekunde zu verlieren und können uns keine Fehler erlauben.« Er wies auf einen dünnen Schwarzen. »Johnson, Sie übernehmen die Pflegekräfte und das ärztliche Personal. Die Leute sollen die Ausgänge besetzen und die Patienten in die Cafeteria schaffen. Alle Fenster sind verriegelt und vergittert, daher ist es
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