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Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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vorbei. Diese Stille! In diesem Haus stimmte etwas nicht. Dann spürte sie einen Lichtschalter an der Wand. Sollte sie ihn betätigen? Damit würde sie Bolten sofort auf sich aufmerksam machen. Jetzt bloß nichts Unüberlegtes! Da alle Fenster dicht verschlossen waren und keine Sicht in den Garten zuließen, vermutete Bolten sie höchstwahrscheinlich immer noch draußen. Dabei wollte sie es im Moment belassen. Also tastete sie sich weiter im Dunkeln durch den Vorraum.
    Sie fand eine Tür, öffnete sie einen Spaltbreit und steckte den Kopf ins Zimmer.
    »Pulaski?«, flüsterte sie.
    Keine Antwort.
    Im Schein des Displays erreichte sie die nächste Tür. Sie wiederholte die Prozedur, doch wieder erhielt sie keine Antwort.
    Schließlich gelangte sie in einen Gang. Mittlerweile hatte sie die Orientierung verloren und wusste nicht mehr, in welcher Richtung die Eingangstür und wo die Terrassentür lag.
    Wahllos öffnete sie eine Tür, schob sich in den Raum und schloss sie hinter sich. Dann tastete sie mit der Hand an der Wand entlang, bis sie einen Lichtschalter fand und ihn betätigte.
    Rotes Licht blendete sie. Mit der Hand schirmte sie die Augen ab und sah sich blinzelnd um. Im Raum befanden sich ein Doppelbett, ein Kamerastativ und ein Schrank mit Dutzenden Schubladen. Es roch penetrant nach Aftershave und Männerparfüm. Die nackte, rote Glühlampe an der Decke sorgte für eine schummrige Atmosphäre. Evelyn fiel auf, dass der Raum kein Fenster besaß.
    Sie wollte sich aufs Bett setzen, um nachzudenken, als sie die Plastikfolie über der Matratze bemerkte. Angewidert blieb sie stehen. Neben den Kopfkissen saßen mehrere Stofftiere, die vollkommen identisch waren. Gelbe Hasen mit langen Ohren. Bei einem war der Bauch von den Beinen bis zum Hals aufgeschlitzt, sodass der Schaumstoff hervorquoll.
    Auf dem Stativ thronte keine Kamera. Die lag bestimmt in einer der Schubladen. Wahllos öffnete Evelyn einige davon. In einem Fach fand sie ein halbes Dutzend Handschellen, doch keine Kamera. In einem anderen jede Menge beschriftete Videohüllen. Nadine, Februar 2004. Petra, Juni 2004. Margit, Oktober 2005. Anna, Dezember 2005. Jeweils zu Ferienbeginn. Ihr wurde übel.
    Rasch schob sie die Laden zu, schaltete das Licht aus und schloss die Augen. Imaginäre rote Kreise flimmerten vor ihren Pupillen. Mit dem Rücken an der Tür lehnend, versuchte sie, an Patrick zu denken. Wie hatte der Witz mit dem lieben Gott und dem Anwalt noch gleich gelautet? Sie dachte verzweifelt nach, konnte sich aber nicht konzentrieren. Die Dutzenden Videohüllen gingen ihr nicht aus dem Kopf. Sie stellte sich den grauhaarigen, distinguierten Herrn im feinen Anzug vor, wie er auf der Klarsichtfolie des Bettes saß. Noch dazu ein ehemaliger Jugendrichter. Bestimmt war er in Cuxhaven eine angesehene Persönlichkeit. Sie spürte die Magensäure in ihrem Rachen und schluckte den bitteren Geschmack runter.
    Sie musste Pulaski finden! Und falls ihr das nicht gelang, wollte sie so rasch wie möglich aus dem Haus verschwinden, bevor sie diesem Verrückten in die Hände lief. Während sie an der Unterlippe kaute, wäre ihr beinahe das Handy aus den Fingern geglitten. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihre Handflächen schweißnass waren. Sie rieb sie an den Jeans trocken. Dabei spürte sie die Kante von Pulaskis Visitenkarte, die aus ihrer Tasche ragte. Natürlich! Hoffentlich hatte er sein Handy nicht in ihrem Auto liegen lassen. Sie würde ihn auf dem Mobiltelefon anrufen, aber nicht, um mit ihm zu sprechen. Sie wollte nur hören, wo es im Haus klingelte, und anschließend die Verbindung unterbrechen.
    Um nichts in der Welt würde sie das Licht in diesem Zimmer noch einmal aufdrehen. Der Schein des Handydisplays reichte aus. Sie zog die Visitenkarte aus der Tasche. Kriminaloberkommissar. Darunter stand seine Nummer. Sie war leicht zu merken. In der Dunkelheit wanderten ihre Finger über die Tasten des Telefons. Nachdem sie die Nummer getippt hatte, blieben ihr noch wenige Sekunden. Sie durfte das Klingeln nicht überhören. Während das Handy die Verbindung aufbaute, drückte sie die Klinke herunter und öffnete die Tür. Eilig verschwand sie in den Gang und tastete sich bis zum Vorraum.
    Plötzlich drang unter einem Türspalt Licht hervor, das auf ihre Schuhspitzen fiel. Evelyns Herzschlag stockte für einen Moment, als sie die Umrisse einer Gestalt im Vorraum sah.
    Die Person stand reglos da. Das konnte weder Bolten noch Pulaski sein. Die Silhouette war viel

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