Rachesommer
gekippte Fenster.
»Können wir Ihnen helfen?«, fragte eine der Schwestern. Die andere kicherte. »Hat sich erübrigt.«
Pulaski hetzte ins Freie und erreichte die Therapeutin, bevor sie in ihren Wagen steigen konnte. »Mein Gott, sind Sie außer Atem.«
»Ich weiß, ich … sollte mit dem Rauchen aufhören.« Ein Hustenanfall trieb ihm die Tränen in die Augen. Während er sich mit einer Hand auf dem Autodach abstützte, zog er das Spray aus der Tasche, schüttelte es und inhalierte kräftig.
»Sie haben Asthma?«
Er wischte sich die Tränen aus den Augen. »Ich brauche Ihre Hilfe … bloß eine Minute«, keuchte er.
Sie sah ihn bedauernd an. »Ich glaube, ich habe Ihnen bereits genug geholfen. Der Chefarzt hat mir die Leviten gelesen, weil ich Ihnen Nataschas Krankenakte ohne sein Einverständnis gegeben habe.«
»Ich dachte, Sie kennen Staatsanwalt Kohler und haben mit ihm besprochen, dass ich Einsicht nehmen darf?«
Sie verzog das Gesicht - so, wie es seine Frau immer getan hatte, wenn ihr etwas unangenehm gewesen war. In diesem Moment wusste er, dass sich die Sache ganz anders abgespielt hatte als vermutet.
»Staatsanwalt Kohler« - sie atmete tief durch - »ist mein Exmann.«
Pulaski glaubte, sich verhört zu haben. »Sie und dieser …«Er stockte.
»… Lackaffe?«, half sie ihm weiter.
Ein neuerlicher Hustenanfall trieb Pulaski die Tränen in die Augen. Diese Frau konnte zulangen! Er inhalierte erneut. »Wenn Sie es so ausdrücken wollen …«, krächzte er.
»Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn ich ihn so bezeichne. Aber offenbar kennen Sie ihn gut genug. Ich muss Ihnen also nichts vormachen.«
»Bestimmt nicht.« Pulaski atmete tief durch. Er dachte an die Kollegen auf dem Revier. »Mit Ihrer Meinung stehen Sie jedenfalls nicht allein da.«
»Schön.« Sie schmunzelte flüchtig. »Da es sich bei der Toten um eine meiner Klientinnen handelte, habe ich ihn telefonisch darüber informiert, dass ich mit der Kripo zusammenarbeiten und den Beamten sämtliche Unterlagen zur Verfügung stellen werde.« Sie lächelte. »Natürlich hat er getobt.«
»Ihr Exmann hat Sie jedenfalls in Schutz genommen und behauptet, ich hätte Sie genötigt, mir die Unterlagen auszuhändigen.«
Doktor Willhalm verzog das Gesicht. »Das sieht ihm ähnlich.«
»Er hat den Fall übrigens abgeschlossen. Offizielles Statement: Selbstmord.«
Willhalm seufzte. »Das habe ich befürchtet. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Ich möchte Ihnen ein Bild auf einem Überwachungsvideo zeigen.«
Als sie im Keller ankamen, war die Tür zum Videoraum geschlossen. Pulaski wusste, dass er sie offen gelassen hatte.
Er öffnete den Raum und trat ein. Die Mattscheibe war schwarz. Jemand hatte das Band aus dem Videorekorder entfernt. Sein Herz raste. Gehetzt sah er sich um. Sämtliche Bänder fehlten. Die Schachtel, die ihm der Portier zurVerfügung gestellt hatte, war ebenfalls weg.
Pulaski unterdrückte einen Fluch. Welcher Mistkerl hatte den Raum während seiner Abwesenheit betreten?
Sonja Willhalm stand ratlos im Türrahmen und hielt in einer Hand ihre Handtasche, in der anderen den Autoschlüssel. »Wie kann ich Ihnen nun helfen?«
»Gar nicht mehr.«
In diesem Moment erschien Direktor Heinrich Wolf hinter der Therapeutin. »Wo sind die Bänder?«, rief Pulaski.
Wolf war die Ruhe in Person. »Darum hat sich der Pförtner gekümmert.«
War der Arzt noch bei Sinnen? »Das ist Beweismaterial!«, entfuhr es Pulaski.
»Beweismaterial wovon?«, fragte Wolf. »Soeben kam der Anruf von Ihrer Dienststelle, dass die Ermittlungen eingestellt wurden.« Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Aus den Augen mit den buschigen Brauen blitzte der nackte Hohn.
Eins zu null für dich, Klugscheißer, dachte Pulaski. Aber noch war er nicht aus der Klinik draußen, und bis dahin gab er nicht auf. Wie sagte seine Tochter immer? Nur Briefe werden aufgegeben.
Wolf nickte zum oberen Stockwerk. »Ich darf Sie also bitten, Ihre persönlichen Unterlagen aus dem Besprechungszimmer zu entfernen. In einer Viertelstunde sind Sie weg. Wir benötigen den Raum morgen früh, und ich muss noch etwas vorbereiten. Den Weg nach draußen kennen Sie ja. Guten Abend.« Er wandte sich kurz zu Doktor Willhalm. »Bis morgen.«
Als Wolf aus dem Raum verschwunden war, vibrierte Pulaskis Handy in der Hosentasche. Er hob ab und stellte sich bereits auf eine Standpauke seines Chefs ein. Doch die Stimme einer anderen Person, die er längst vergessen hatte,
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