Rachesommer
Vielleicht…«
»Vielleicht aber auch nicht«, unterbrach sie ihn. »Wir werden es rausfinden.«
Sie aktivierte die Freisprechanlage ihres Telefons und wählte Holobecks Handynummer. Während das Freizeichen aus dem Lautsprecher ertönte, sahen sie sich gespannt an.
Endlich knackte es in der Leitung. Jemand hatte abgehoben. Sie hörten das zaghafte Atmen einer Person.
Patrick nickte Evelyn zu, doch bevor sie etwas sagen konnte, hörten sie eine leise Frauenstimme mit norddeutschem Akzent.
»Lisa. Hallo? Ich habe deinen Anruf er…« Die Frau stockte.
Evelyns Herz schlug bis zum Hals. »Mit wem spreche ich?«
18
Pulaski rückte näher an die Mattscheibe heran. Mit den technischen Mitteln in diesem Kellerloch konnte er das Standbild weder ausdrucken noch als Datei speichern. Die flimmernde Aufnahme war alles, was er hatte: ein alter Mann, der sich einige Stunden vor Nataschas Tod auf illegale Weise Zutritt zur Anstalt verschafft hatte.
Falls es sich bei dem Grauhaarigen um Nataschas Mörder handelte, war er bis jetzt auf der falschen Fährte gewesen. Der Killer gehörte nicht zum Anstaltspersonal, sondern war von außen gekommen. Steckte etwas völlig anderes hinter Nataschas Tod, als er bisher angenommen hatte?
Vielleicht war der Grauhaarige nicht zum ersten Mal in die Anstalt eingebrochen …
Einen Versuch war es wert. Pulaski starrte auf sein ausgeschaltetes Handy. Bestimmt versuchte Fux gerade mit geschwollenen Halsschlagadern und hochrotem Kopf, ihn zu erreichen. Pulaski blieb nicht viel Zeit, bis ein Wagen der Kollegen vor dem Areal parkte, um ihn abzuholen. Zuvor musste er noch einige Dinge herausfinden.
Er schaltete das Handy ein. Drei Anrufe in Abwesenheit. Wie nicht anders zu erwarten, war Fux die Hartnäckigkeit in Person. Bevor es wieder klingelte, wählte Pulaski die Nummer des Reviers.
Malte, einer seiner Kollegen, hob ab. Seine Stimme wurde schrill, als sich Pulaski meldete. »Pulaski? Der Chef versucht dich seit…«
»Hör zu!«, unterbrach er ihn. »Ich brauche eine Systemabfrage. Es ist dringend.«
Malte schwieg eine Weile. »Der Chef tobt, dass sich die Bürowände biegen.«
Pulaski hörte es. »Vergiss ihn für eine Minute.« Er starrte auf das Standbild des Grauhaarigen. »Staatsanwalt Kohler hat meinen Fall abgeschlossen. Er irrt sich! Aber es gibt eine Möglichkeit, wie ich die Ermittlungen wieder ins Rollen bringen kann …«
Er hörte Makes Atem am anderen Ende der Verbindung und sah förmlich, wie die kleinen Räder seines Gehirns arbeiteten. Klick, klack … klick, klack. Wenn es darum ging, dem Staatsanwalt eins auszuwischen, zogen zumindest einige von ihnen am selben Strang.
»Was für eine Abfrage?«
»Das Standesamt.«
»Nein, Scheiße, das mache ich nicht«, zischte Malte ins Telefon.
Herrgott! Pulaski ballte die Faust, dass die Knöchel knackten. Musste ausgerechnet Malte der junge Pupser, Nachtdienst haben? »Ich gebe dir mein Passwort und meine Dienstnummer. Du eröffnest eine neue Behördenkennzahl und loggst dich für eine Standardabfrage ins System des Standesamts ein.«
Malte schwieg. Klick… klack. »Und wenn sie mich erwischen?«
»Mein Passwort, meine Dienstnummer«, erwiderte Pulaski so ruhig wie möglich. Das war doch nicht so schwer zu begreifen!
»Warte einen Moment«, flüsterte Malte schließlich. »Ich wechsle den Apparat und stell dich in ein anderes Büro durch.«
Eine Minute später war das Gespräch beendet. Malte würde sich bei ihm melden, sobald die Abfrage durch war. Pulaski stellte sein Handy auf lautlos.
Während er auf das flimmernde Standbild starrte, dachte er fieberhaft nach. Es gab nur eine Person innerhalb der Anstalt, die ihm helfen würde: Nataschas Therapeutin.
Er verließ den Kellerraum und lief durch das Treppenhaus in das obere Stockwerk. Das Quietschen seiner Schuhsohlen hallte von den Wänden wider. Mittlerweile hatte die Nachtruhe begonnen. Nur das matte Notlicht schimmerte in den Gängen. Er musste Sonja Willhalm finden. Ihr Büro war abgesperrt, ebenso die Büros des Chefarztes und des Ärztlichen Direktors. Im Aufenthaltsraum saßen nur zwei Schwestern, die Nachtdienst schoben, Tee tranken und Sudokus lösten.
Bevor Pulaski sie ansprechen konnte, sah er durch das hohe Fenster des Treppenhauses zufällig auf den Angestelltenparkplatz hinaus. Soeben öffnete sich die Tür des Seitenausgangs. Im Schein der Laterne ging Sonja Willhalm zu ihrem Auto. Das Klappern ihrer Stöckelschuhe drang durch das
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