Rachespiel
sterben.«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen. Wer ist Presley?«, erwiderte Rosita.
20
Es war wohl kein Zufall, schätzte Jo, dass derselbe Anwalt, der am Morgen zu Jeff Cox nach Hause gekommen war, auch die Familie Fitzmaurice vertrat. Sie rief sofort in seiner Kanzlei an, wo man ihr sagte, er sei bei Gericht. Nachdem sie seiner Sekretärin deutlich gemacht hatte, wie dringend sie einen Termin brauchte, ließ Hannah ihr per SMS mitteilen, dass er bereit war, sich um kurz nach vier in der Cafeteria des Gerichtsgebäudes mit ihr zu treffen. Die Verhandlung, an der er teilnahm, sollte bis dahin beendet sein.
Dublins Strafgerichtshof war vor Kurzem umgezogen – von einem Gebäude mit abgasgeschwärzten dorischen Kalksteinsäulen in einen modernen Rundbau aus Glas und Holz am Eingang des Phoenix Park.
Als Jo dort eintraf, hatte sie noch zwanzig Minuten Zeit und beschloss, doch noch kurz in den Vergewaltigungsprozess hineinzuschauen, zu dem sie am Morgen hatte gehen wollen. Sie stellte sich bei der Sicherheitskontrolle an, nahm Kleingeld und Handy aus den Taschen, legte es in eine Plastikwanne und zog dann ihre Lederjacke mit den zahlreichen Metallreißverschlüssen aus.
Maurice, der Sicherheitsbeamte mit dem Kinnbart, führte gerade mit einem Jugendlichen mit Kinnbart eine Diskussion darüber, warum in den Gerichtssälen keine Stichschutzwesten getragen werden durften, und sagte, der junge Mann könne auch gleich mal seine Turnschuhe zur Inspektion ausziehen, wenn er schon dabei sei.
Jo ging unter dem Metalldetektorbogen hindurch und löste rotes Blinken und lautes Gepiepe aus, gerade als ihre Siebensachen unter der Gummiklappe des Fließbands hervorkamen. »Ist bestimmt mein blöder Gürtel oder die Armreifen«, sagte sie.
Maurice sah auf und winkte sie durch. »Ich hatte dich heute Morgen schon erwartet«, sagte er.
»Bin von was anderem aufgehalten worden«, erklärte sie. »Was habe ich verpasst?«
»Nur Anträge auf Beschränkung der Berichterstattung. Der Angeklagte ist erst kurz vor der Mittagspause in den Zeugenstand getreten. Du müsstest noch was davon mitbekommen. Saal siebzehn.«
Der Teenager war empört. »Hey, wieso kann die hier Großalarm auslösen und wird trotzdem durchgelassen?«
»Weil sie ’n heißer Feger ist«, antwortete Maurice.
Jo stopfte ihren Kram wieder in die Taschen und ging dann über den nagelneuen Marmorfußboden auf die beiden gläsernen Aufzüge mit ihren freiliegenden Kabeln und Metallträgern zu.
Ein Verteidiger vor ihr, in voller Robe und mit Perücke, umwickelte seine Hand mit einem Zipfel seines Umhangs, bevor er die Aufzugtaste drückte.
»Haben Sie Angst vor der Schweinegrippe?«, fragte Jo.
»Nein, vor einem elektrischen Schlag«, antwortete er. »Dieses Gebäude ist ein einziges Gesundheitsrisiko. Es gibt Glasscheiben, die einfach aus dem Rahmen fallen, und ach ja, der Lift bleibt immer wieder stecken – wenn Sie denn einen bekommen. Die Gebäudeverwaltung sagt, das gehöre halt zur ›Eingewöhnungsphase‹, nicht zu glauben.«
Jo glaubte es durchaus. Sie hatte so ihre eigenen Einge wöhnungsschwierigkeiten mit dem Fall Tara Parker Trench. Allem Anschein nach war das Model eine unzuverlässige, selbstzerstörerische Magersüchtige, die ohne Weiteres auch suizidgefährdet sein konnte, wenn sie, wie Jo stark vermutete, kürzlich verprügelt und fast ertränkt worden war. Ganz zu schweigen davon, dass sie eine pathologische Lügnerin und süchtig nach Aufmerksamkeit war. Vielleicht hatte der verfluchte Oakley von Anfang an recht gehabt und sie hatte obendrein das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom.
Nach minutenlangem Warten, währenddem beide Aufzüge ständig nur die höheren Stockwerke anfuhren, gab sie es auf und nahm die Treppe.
Sechs Etagen später trat sie keuchend aus dem Treppenhaus, obwohl sie eigentlich ziemlich fit war. Jede Etage hatte eine kreisförmige Galerie um einen zentralen Lichtschacht herum, durch den Tageslicht von dem Glasdach oben bis hinunter ins Erdgeschoss fiel. Vom Rand der Galerie aus konnte man die anderen Stockwerke einsehen. Jo ließ den Anblick auf sich wirken, während ihr Herz raste, als wäre sie gerade einen Marathon gelaufen. Sie überlegte, ob sich so eine Panikattacke anfühlte, und um wieder zur Ruhe zu kommen, wägte sie das Für und Wider ab, Tara Parker Trenchs Fall aufzugeben und sich stattdessen auf diesen hier zu konzentrieren.
Doch bevor sie zu irgendeinem Schluss kommen konnte, hatte sie schon die Tür zum
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