Rachespiel
Gerichtssaal erreicht. Sie stieß sie auf und ging hinein.
21
Gerichtssaal Nummer siebzehn war ein moderner Anklang an den alten Zentralen Strafgerichtshof. Das breite Fenster hinter der Richtertribüne folgte der Kurvung des Gebäudes, skurril geformte Sitzbänke im Mittelbereich hatten die alten Holzbänke im Kolonialstil ersetzt, und das Ganze wurde mit einem blutroten Teppich akzentuiert. Der Hauptunterschied zu früher jedoch war die elektronische Ausstattung. An der Decke befand sich ein absenkbarer TV -Bildschirm, über den abgeschirmte Zeugen ihre Aussage machen konnten, ohne sich der Begegnung mit dem Angeklagten oder den Medien aussetzen zu müssen. Die Verfahren wurden von Kameras aufgezeichnet und konnten so für die Öffentlichkeit ins Erdgeschoss übertragen werden, wenn der Saal zu voll wurde. Sogar der Richter verfügte über einen Computer. Jo beobachtete, wie er den Sitz seiner Perücke in dem spiegelnden Bildschirm überprüfte, und fragte sich, ob er auch noch eine andere Verwendung für das Gerät hatte.
Auf der rechten Saalseite lauschten die zwölf Geschworenen aufmerksam dem Angeklagten, der ihnen auf der linken gegenübersaß.
Jos Blick richtete sich auf ihn. Er war etwa Mitte vierzig, klein und drahtig, mit einem blassen, schiefen Gesicht und einem schlecht sitzenden Anzug. Das einzig Bemerkenswerte an seiner Erscheinung war ihre Gewöhnlichkeit. In einer Menschenmenge hätte man ihn vielleicht für einen Hausierer gehalten, der unangekündigt an Gutshäusern klingelte und versuchte, irgendwelches Zeug zu verkaufen, das niemand brauchte.
Sie überging den Brauch, sich beim Hereinkommen beziehungsweise Hinausgehen steif vor dem Richter zu verbeugen, zwinkerte stattdessen der Protokoll führenden Gerichtsbeamtin zu, die sie seit Langem kannte, und schlüpfte in eine der hinteren Bankreihen. Als sie saß, stellte sie ihr Handy lautlos und schlug die Beine übereinander. Automatisch fing das obere an zu wippen.
Sie sah sich nach dem Opfer um. Es gab nur eine Frau im Gerichtssaal, die den Blick gesenkt hielt. Ihre glatten schwarzen Haare waren streng zurückgebunden, und ihre Kleider schlotterten um ihren Körper. Sie hatte einen olivbraunen Teint und saß zwischen einem älteren Paar.
Jo zog drei Aktenmappen aus ihrer Tasche, die sie in braune Umschläge gesteckt hatte, und nachdem sie festgestellt hatte, dass ihr noch etwa eine Viertelstunde bis zu dem Treffen mit Hannah blieb, rief sie sich den Tathergang dieser früheren Verbrechen in Erinnerung. Das erste Opfer war vor fünf Jahren in Portlaoise vergewaltigt und ermordet worden. Eine neunzehnjährige Lehramtsstudentin, die nach einer Prüfung mit ein paar Freunden in einem Pub gefeiert hatte. Der Mörder hatte in der mittleren Kabine der Toilette gelauert und war dann über die Trennwand geklettert, nachdem die Studentin sich in der daneben eingeschlossen hatte. Er hatte ihr die Kehle durchgeschnitten. Niemand hatte etwas gehört. Das zweite Opfer war einundzwanzig gewesen und hatte in einer Bar gearbeitet. Sie war vor drei Jahren in der Dubliner Innenstadt vergewaltigt und ermordet worden, nachdem sie mit einer Gruppe von Freunden ein Open-Air-Konzert besucht hatte. Sie war mit ihnen zusammen in einem öffentlichen Bus zurück in die Stadt gefahren und hatte sich dann von ihnen getrennt, um an einem Taxistand zu warten. Ihre Leiche war in der öffentlichen automatischen Toilette an der O’Connell-Brücke gefunden worden – mit durchgeschnittener Kehle. Das dritte Opfer war achtzehn gewesen und noch zur Schule gegangen. Sie war nach einem Schulausflug nach Limerick vergewaltigt und ermordet worden. Man hatte ihr die Kehle durchgeschnitten und sie in der Toilette eines Hamburger-Restaurants liegen lassen. Das war weniger als ein Jahr her.
Die Parallelen zwischen den Fällen waren unübersehbar.
Der Angeklagte hier, ein Taxifahrer, stand nur wegen dieser separaten Vergewaltigung vor Gericht, war aber von einem hoch angesehenen forensischen Psychologen, der ungeklärte Fälle neu begutachtete, als Verdächtiger für die drei Sexualmorde benannt worden. Der Psychologe hatte ihn als wahrscheinlichsten Täter herausgepickt, weil er sehr geschickt und kaltblütig vorgegangen war, und das, obwohl er keine Vorstrafen hatte. Jemand, der unbemerkt Frauen an öffentlichen Orten tötete, musste ein ähnlich hohes Kompetenzniveau haben, lautete die Argumentation.
Dem ersten Eindruck nach glaubte Jo jedoch nicht, dass er ihr Mann war. All die
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