Rachespiel
einen offenen, holzgetäfelten Raum, in dem Leute aus allen Berufen und Gesellschaftsschichten – jedenfalls nach ihrem Kleidungsstil zu urteilen – mit dem Rücken zu ihr auf Stühlen saßen und auf ein provisorisches Podest blickten.
Ein philippinisches Mädchen, schäbig gekleidet, stand mit niedergeschlagenen Augen auf dem Podest. Jo schätzte sie auf nicht älter als achtzehn.
Hinter Rosita tauchte ein junger Mann mit schlechter Haut und smartem Anzug auf und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Ich habe doch gesagt, du sollst oben bleiben, Mutter«, sagte er scharf.
»Ich brauchte ein bisschen frische Luft«, entgegnete Rosita.
»Wer ist das?«, verlangte er zu wissen. »Du hättest mich rufen sollen.«
»Was geht hier vor?«, fragte Jo mit Blick auf das junge Mädchen.
Der Mann schnippte mit den Fingern, die Zuschauer drehten sich zu ihm um, und zwei Frauen in der ersten Reihe sprangen auf, zerstreuten die Gruppe handwedelnd und führten die Philippinerin eilig aus dem Raum.
»Warten Sie hier«, sagte Jo zu dem Mädchen, das jedoch weiterging.
Jo wollte ihm folgen, aber der Mann verstellte ihr den Weg. »Wer sind Sie?«, fragte er barsch.
Jo zeigte ihm ihren Ausweis.
»Sie spricht kein Englisch«, sagte er über das Mädchen. »Wir stellen gerade neues Personal für das Anwesen ein.«
Jo sah ihr nach. »Und Sie heißen?«
»Hugo Fitzmaurice. Worum geht es? Haben Sie einen Durchsuchungsbeschluss?«
»Warum sollte ich einen brauchen?«, erwiderte Jo. »Was läuft hier?«
»Wer ist sie?«, fragte Rosita ihren Sohn und blickte blinzelnd auf Jos Ausweis.
»Ein Mitglied der Gardaí, Mutter«, antwortete Hugo. »Detective Inspector Birmingham.«
Rosita fächelte sich mit der flachen Hand Luft zu.
»Geht es um Charles?«, fragte sie, während sie auf eine Chaiselongue zutrippelte und sich setzte.
Jo richtete sich unwillkürlich gerade auf, als sie »Charles« mit »Fitzmaurice« verknüpfte und begriff, dass sie sich im Haus des Multimillionärs befand, dem das schickste Hotel der Hauptstadt gehörte – das Triton. Sie hätte ihr Leben darauf verwettet, dass Hassan genau dieses Hotel nennen würde, wenn er ihr die Information lieferte, wo Marcus arbeitete.
»Warum gehst du nicht ein Nachmittagsschläfchen machen, Mutter?«, schlug Hugo vor.
»Nicht ehe wir uns unterhalten haben«, sagte Jo. »Sie haben natürlich das Recht, sich zu weigern, dann werde ich mir einen Haftbefehl besorgen.«
»Mit welcher Begründung?«, fragte der Sohn.
»Ihre Mutter hat sich gestern Abend an einer Tankstelle aufgehalten, als dort ein kleiner Junge aus einem Auto entführt wurde. Ich möchte sie darüber befragen.«
»Ich habe nichts gesehen«, sagte Rosita.
Jo schüttelte den Kopf. Ihre natürliche Reaktion, hätte sie wirklich nichts gewusst, wäre Erstaunen gewesen. Sie hätte sich erkundigt, was passiert war, und Interesse am Wohlergehen des Kindes bekundet.
»Schön«, sagte Hugo, »Sie können mit meiner Mutter in Vaters Arbeitszimmer sprechen. Ich begleite Sie.«
»Nein, ich möchte, dass Sie dieses junge Mädchen zurückholen, damit ich ihre Papiere sehen kann«, sagte Jo.
»Ich hole Lee gern, um Ihnen zu zeigen, dass sie legal hier ist. Aber sie wird es Ihnen nicht danken. Sie kann ihren Job in den Wind schreiben, wenn sie mit Ihnen mitkommen muss. Ich brauche hier Reinigungskräfte. Wenn sie kein Arbeitsvisum hat, ist sie auf jeden Fall illegal – und muss mit sofortiger Abschiebung in ein Leben in Armut und Hoffnungslosigkeit rechnen.«
»Bringen Sie sie her, damit ich mit ihr reden kann, und auch gleich den Dolmetscher, den Sie ja gehabt haben müssen, um überhaupt das Vorstellungsgespräch mit ihr zu führen«, erwiderte Jo.
Hugo führte Jo und Rosita in ein Arbeitszimmer, das ebenfalls holzgetäfelt und mit gerahmten Fotos behangen war. Dort nahm er seine Mutter bei den Händen und sah sie eindringlich an. »Mummy, du brauchst nichts zu beantworten, was du nicht möchtest. Sag es einfach der netten Polizistin, wenn dir etwas nicht behagt, ja?«
Rosita nickte und ließ sich etwas steif am Rand einer bordeauxroten Ledercouch nieder.
Jo ging zu der Wand voller Fotos hinüber. Auf den meisten davon war Fitz in Gesellschaft berühmter Gesichter abgebildet: in einem Golfbuggy mit einem ehemaligen US-Präsidenten, händeschüttelnd mit einem ehemaligen afrikanischen Diktator, der gegenwärtig wegen Kriegsverbrechen in Den Haag vor Gericht stand. Rosita den Rücken zukehrend sagte sie: »Ihr
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