Rachespiel
Haar ist anders als auf den Bildern der Überwachungskamera in der Tankstelle.« Sie warf einen Blick über ihre Schulter.
Rosita betastete geistesabwesend ihre Frisur.
»Dort war es länger und dunkler. Warum haben Sie eine Perücke getragen?«
Rosita sah erschrocken auf. »Das ist privat. Sie sind aufdringlich. Hugo hat gesagt, wenn mir etwas …«
»Erzählen Sie mir, was gestern Abend in der Tankstelle passiert ist.«
»Absolut nichts, was mir aufgefallen wäre.«
»Sie liegt ein bisschen weit vom Schuss für Sie, oder?«
»Ganz und gar nicht. Ich war zum Einkaufen in der Stadt und musste Fitz vom Hotel abholen, weil er etwas getrunken hatte. Unterwegs habe ich angehalten, um zu tanken.«
»Aber Sie haben nicht getankt.«
»Was?«
»Benzin«, sagte Jo.
»Habe ich nicht?«
»Nein.«
»Ja, stimmt, die Schlange war zu lang. Ich hatte Angst, Fitz zu verpassen. Ich wusste, dass es noch bis zum Hotel reichen würde, dort ist auch eine Tankstelle in der Nähe.«
»Warum sind Sie dann in den Shop hineingegangen?«
»Bin ich das?«
Jo seufzte.
»Ach ja, genau«, sagte Rosita. »Ich dachte, ich hätte jemanden gesehen, den ich kenne.«
»War es so?«, hakte Jo nach.
»Nein.«
»Warum haben Sie die Windeln gekauft?«
»Ich musste doch irgendetwas kaufen. Ich wollte nicht, dass man mich für eine Verrückte hält.«
»Zu dem Zeitpunkt haben Sie sich also keine Sorgen mehr darüber gemacht, zu spät zu kommen, um Ihren Mann abzuholen?«
Rosita lehnte sich zurück. »Sind Sie verheiratet, Detective Inspector Birmingham?«
»Ja. Ich meine, nein«, antwortete Jo.
»War eine andere Frau im Spiel?«
Jo trat von einem Bein auf das andere.
»Ich bin seit vierzig Jahren verheiratet«, sagte Rosita. »In dieser Zeit ist das männliche Ego zu einem Gegenstand der Faszination für mich geworden. Es ist so berechenbar. Ab und zu muss man einen Mann ein wenig warten lassen. Das hält sein Ego im Zaum.«
»Je an Scheidung gedacht?«
»Es mag Sie vielleicht schockieren zu erfahren, dass manche Menschen es mit dem ›In guten wie in schlechten Zeiten‹ ernst meinen, Inspector …«
Hugo kam mit der jungen Philippinerin und einer älteren, chinesisch aussehenden Frau zurück.
»Nun?«, fragte er seine Mutter.
Sie winkte ab.
Jo drehte sich noch einmal zu den Bildern um und nahm eines in Augenschein, auf dem Charles Fitzmaurice und Blaise Stanley sich die Hände schüttelten. Es wirkte relativ neu. Im Hintergrund waren andere Gesichter zu sehen, und Jos Blick wurde von einer Frau schräg hinter Fitz angezogen – Imogen Cox. Mit verschränkten Armen ging sie zu der Chinesin hinüber. »Fragen Sie das Mädchen bitte nach seinem Namen.«
Die Chinesin sagte etwas in barschem Ton. Das Mädchen antwortete und fing an zu weinen.
»Lee Cruz«, wiederholte die Chinesin.
»Fragen Sie sie, warum sie weint.«
»Sie will nicht wieder nach Hause«, sagte die Chinesin.
»Fragen Sie sie«, beharrte Jo.
Hugo seufzte hörbar.
Die Chinesin sagte etwas zu Lee und wiederholte dann ausdruckslos: »Sie will nicht wieder nach Hause.«
»Fragen Sie sie, wie alt sie ist«, wies Jo sie an.
Nach der Übersetzung blickte das Mädchen kurz schuldbewusst auf, ehe es antwortete.
»Achtzehn«, sagte die Übersetzerin und gab Jo eine Fotokopie von Lees Geburtsurkunde. Das Geburtsdatum stimmte zwar mit der Angabe überein, aber es war nur eine Kopie. Bei einem zweiten Dokument handelte es sich um einen Asylantrag, der den notwendigen Stempel der Einwanderungsbehörde trug.
»Zufrieden?«, fragte Hugo.
Jo ignorierte ihn. »Fragen Sie Lee, ob sie mit mir kommen möchte, jetzt gleich. Erklären Sie ihr, dass sie bei mir wohnen kann und dass ich ihr helfen werde, einen Job zu finden.«
Die Chinesin sagte etwas, woraufhin Lee panisch den Kopf schüttelte.
»Ich fürchte, ich muss Sie jetzt bitten zu gehen, Inspector«, sagte Hugo. Er reichte ihr eine Visitenkarte. »Hier sind Name und Kontaktdaten unseres Rechtsanwalts, falls Sie noch weitere Anliegen haben.«
Jo verdrehte die Augen, als sie George Hannahs Namen auf der Karte las, und ging nach kurzem Zögern und einem letzten Blick auf die Philippinerin langsam zur Tür.
»Was haben Sie mit den Windeln gemacht?«, fragte sie Rosita abrupt, sich noch einmal umdrehend.
»Sie weggeworfen, natürlich. Was sollte ich damit?«
»Wenn er hier ist, wenn Presley hier ist, wird er sehr bald seine Medikamente brauchen«, sagte Jo. »Bekommt er sie nicht, fällt er ins Koma und kann
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