Rachespiel
verdammt noch mal«, murmelte sie, als ihr endlich ein Licht aufging. Wenn alle Anzeichen dafür sprachen, dass der Betreiber sich einen Dreck um sein Personal scherte, er ihm einen Hungerlohn bezahlte und auch sonst nichts in den Laden investierte, warum hatte er dann so eine teure Sicherheitsanlage? Eine wesentlich billigere hätte es schließlich auch getan. Da ging noch etwas anderes vor sich in dieser Tankstelle, und zwar etwas so Lukratives, dass es die Einkünfte aus dem Benzin in den Schatten stellte.
»Deshalb war Tara hier«, sagte sie laut zu sich selbst. »Und deshalb wussten Presleys Entführer auch, dass sie hierherkommen würde.«
Sie streifte ihre Schuhe ab, sobald sie im Haus war. Einen Moment lang stand sie da und lauschte der Stille um halb drei Uhr morgens, bevor sie in die Küche ging. Dort öffnete sie die Luke der Waschmaschine, holte einen Wäschekorb und zog die Ladung Wäsche heraus, die sie am Morgen vor der Arbeit hineingetan hatte. Sie nahm den Wäscheständer aus dem Schrank und hängte die nassen Sachen vor der Glut im Wohnzimmerkamin auf. Zwecklos, den Ständer heute Nacht hinauszustellen; es war Regen angesagt.
Anschließend nahm sie das Geschirr aus der Spülmaschine, räumte es leise in die Schränke und stapelte das schmutzige aus der Spüle in die geleerten Körbe. Sie wischte die Arbeitsflächen mit einem Lappen und antibakteriellem Spray ab und fegte den Boden. Eigentlich hatte er einen Wischmopp und das Wohnzimmer den Staubsauger nötig, aber beides würde warten müssen. Erster Tag an einem Fall, und schon staute sich die Hausarbeit.
Sich den Nacken reibend ging sie durch den Flur und steckte den Kopf zu Sal ins Gästezimmer hinein, um zu lauschen, bevor sie zum nächsten Zimmer, Rorys, weitertapste und dort das Gleiche tat.
Danach ging sie in ihr eigenes Schlafzimmer, wo die Atemgeräusche von Harry, der friedlich in seinem Bettchen schlummerte, ihr einen Glücksmoment bescherten. Sie zog den Reißverschluss ihres Rocks auf, ließ ihn zu Boden gleiten, knöpfte ihre Bluse und hakte den BH auf. Aus dem Kleiderschrank nahm sie eines von Dans alten Hemden, und nachdem sie ihr Gesicht kurz in seinem vertrauten, anheimelnden, männlichen Geruch vergraben hatte, zog sie es über und ließ sich ins Bett und die Bewusstlosigkeit sinken. Es war ein langer, harter Tag gewesen.
DIENSTAG
35
Um 8.45 Uhr saß Jo schon wieder an ihrem Schreibtisch und unterdrückte ein Gähnen, während sie über einem Bündel Zeugenaussagen brütete, die am Abend von Presleys Entführung an der Tankstelle aufgenommen worden waren.
Sie hatte um sechs aufstehen müssen, um die Hausarbeit zu erledigen – die Betten machen, staubsaugen, die Wäsche sortieren, den Kamin ausräumen – und Sal pünktlich bei ihrer Tagesstätte, Harry in der Kinderkrippe und Rory an seiner Schule abzusetzen.
Irgendwie hatte sie trotzdem noch zehn Minuten für ihre äußere Erscheinung herausgeschlagen und trug nun ihr bestes Kostüm, einen schwarzen Rock mit eng tailliertem Jackett, und dazu vampmäßig hohe Pumps. Wenn sie zu Dan ging, um ihn davon zu überzeugen, dass sie nicht länger wie eine wild gewordene Hummel herumwirbeln und Presley ohne Rückhalt auf eigene Faust finden konnte, wollte sie sich dabei so weiblich wie möglich fühlen.
Der Skinhead, der im Tankstellenshop mit Getränkedosen um sich geworfen hatte, war wegen Sachbeschädigung und Widerstand gegen die Polizei angezeigt worden, stellte Jo fest. Er hieß Henly Roberts und hatte eine Adresse in Portmarnock, einem noblen Vorort im Norden. Sein Geburtsjahr war 1969. Jo lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und kaute an ihrem Kuli. Man begegnete nicht jeden Tag einem Skinhead um die vierzig namens Henly aus einem feinen, bürgerlichen Wohnbezirk. Vielleicht war er schon mit der Absicht, Unruhe zu stiften, in den Laden gekommen, um die Leute von dem, was draußen passierte, abzulenken. Jo blickte hinüber ins Großraumbüro. Sobald Sexton kam, würde sie ihn nach Portmarnock schicken, damit er dem nachging. Sie machte sich eine Notiz, Sexton daran zu erinnern, dass für den Hund, den Henly bei sich gehabt hatte, eine Halteerlaubnis vorgeschrieben war. Dann würde sie Foxy bitten, Marcus Rankin, auf den der Hiace zuge lassen war und den Hassan bei seiner Vernehmung erwähnt hatte, zu Hause aufzusuchen. Außerdem würde Hassan zur weiteren Befragung über das, was sich in seiner Tankstelle tatsächlich abspielte, hergebracht werden müssen, entschied
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